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Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra

Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra

Titel: Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Saviano
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würde. Alle Etappen, alle zusätzlichen oder offiziellen Wege enden in Neapel. Solange die ungeheuren Full-container langsam durch den Golf auf die Piers zusteuern, wirken sie wie schwerfällige Mammuts aus Eisen und Ketten mit verrosteten Schweißnähten an den Bordwänden, aus denen Wasser rinnt, Schiffe, auf denen man eine riesige Mannschaft vermuten würde. Sobald sie jedoch anlegen, werden sie von einer Handvoll Männer entladen, die man für unfähig halten würde, diese Giganten auf hoher See zu bändigen.
    Als ich zum erstenmal ein chinesisches Schiff am Pier anlegen sah, glaubte ich, die Produktion der ganzen Welt vor mir zu haben. Meine Augen waren nicht in der Lage, die ungeheure Menge der Container zu erfassen. Ich konnte sie nicht zählen. Es mag lächerlich klingen, aber ich kam beim Nachrechnen durcheinander, die Zahlen wurden zu groß und verwirrten sich.
    In Neapel werden heute fast ausschließlich Waren aus China gelöscht, 160 0000 Tonnen. Offiziell. Mindestens eine weitere Million kommt ins Land, ohne Spuren zu hinterlassen. Nach Angaben der Zollbehörde selbst werden im Hafen von Neapel sechzig Prozent der Güter an der Zo llk ontrolle vorbeigeschleust, zwanzig Prozent der Papiere werden nicht kontrolliert, und 50 000 Dokumente sind gefälscht: 99 Prozent davon stammen aus China, und man rechnet offiziell mit zweihundert Millionen Euro, die dem Fiskus pro Halbjahr entgehen. Die Container, die verschwinden müssen, bevor sie untersucht werden könnten, stehen in der ersten Reihe. Jeder einzelne trägt eine reguläre Nummer, doch es gibt viele mit der gleichen Nummer. So steht ein untersuchter Container für all seine illegalen Vertreter. Was am Montag entladen wird, kann am Donnerstag in Modena oder Genua verkauft werden oder in den Schaufenstern von Bonn oder München zu sehen sein. Ein Großteil der Güter, die auf den italienischen Markt kommen, ist nur als Transit deklariert, aber wie durch Magie wird beim Zoll aus dem Transitvermerk eine Einfuhrerlaubnis. Die Grammatik der Waren hat eine Syntax für die Papiere, eine andere für den Handel. Im April 2005 hat die Zollfahndung bei vier fast zufällig in kürzester Zeit hintereinander ausgelösten Durchsuchungsaktionen 24 000 Jeans für den französischen Markt, 50 000 Objekte aus Bangladesh mit der Herkunftsbezeichnung »Made in Italy« und ungefähr 450000 Puppenfiguren wie Barbie und Spiderman, außerdem weitere 46000 Plastikspielzeuge in einem Gesamtwert von ungefähr sechsunddreißig Millionen Euro sichergestellt. Ein Stück der globalisierten Wirtschaft passierte innerhalb weniger Stunden den Hafen und ging von Neapel in die Welt. Jede Stunde, jede Minute geschieht das. Aus einzelnen Stücken werden Viertel und schließlich ein ganzer Kuchen für den Handel.
    Der Hafen ist von der Stadt getrennt. Ein entzündeter Blinddarm, der nie zur Peritonitis geworden ist und sich immer im Bauch der Küste gehalten hat. Es gibt verlassene Teile zwischen Wasser und Land, die weder zum Meer noch zur Küste zu gehören scheinen. Amphibisches Land, Meer in Metamorphose. Schutt und Abfall, jahrelang von den Gezeiten ans Ufer gespülter Müll haben neue Formationen geschaffen. Schiffe entleeren ihre Latrinen, lassen beim Säubern ihrer Laderäume den gelblichen Schaum ins Meer fließen, Kutter und Jachten reinigen ihre Motoren und kippen das Öl direkt in die salzige Kloake. Alles treibt auf die Küste zu, zuerst als schwabbelige Masse, dann als harte Kruste. Die Sonne vollbringt das Wunder, das Meer als Wasser erscheinen zu lassen. In Wirklichkeit erinnert die Oberfläche des Golfes an das Glänzen der Müllsäcke. Der schwarzen. Statt eines Wasserbeckens ist der Golf eine Art Kläranlage. Der Hafendamm mit seinen Tausenden von bunten Containern sieht aus wie eine Sperranlage. Neapel ist von Mauern aus Waren umgeben. Es sind nicht Mauern, die die Stadt verteidigen, sondern die Stadt ist es, die die Mauern verteidigt. Hier finden sich weder Heerscharen von Schauerleuten noch romantische Gestalten. Man erwartet in einem Hafen Lärm, Männer mit Narben, die unmögliche Sprachen sprechen, ein ständiges Kommen und Gehen. Statt dessen herrscht hier die Stille einer vollautomatisierten Fabrik. Im Hafen scheint es keine Menschenseele mehr zu geben, Schiffe und Container bewegen sich wie von unsichtbarer Hand gesteuert. Geräuschlose Geschwindigkeit.
    Ich war zum Hafen gegangen, um Fisch zu essen. Die Nähe zum Meer ist allerdings keine Garantie für gute Küche,

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