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Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra

Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra

Titel: Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Saviano
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dazwischen liegenden Elemente in den Hintergrund, die Finanzoperationen, die Art der Investitionen und alles, was die Macht der kriminellen Wirtschaftsgruppe ausmacht. Seit mindestens fünf Jahren warnt jeder Bericht der Antimafia-Kommission vor der »wachsenden Gefahr der chinesischen Mafia«, aber in zehn Jahren ist der ermittelnden Polizei nicht mehr gelungen, als in Campi Bisenzio nahe Florenz sechshunderttausend Euro zu beschlagnahmen, einige Motorräder und einen Teil einer Fabrik. Das ist nichts angesichts einer Wirtschaftsmacht, die im selben Zeitraum Hunderte von Millionen Euro umgesetzt hat, wie amerikanische Analysten täglich berichten. Der Unternehmer lächelte mich an.
    »Die Wirtschaft hat eine Ober- und eine Unterseite. Wir sind unten eingetreten und kommen oben heraus.«
    Bevor Nino Xian ins Bett ging, machte er mir für den nächsten Tag einen Vorschlag.
    »Stehst du früh auf?«
    »Das kommt drauf an ...«
    »Wenn du es schaffst, um fünf aufzusein, kommst du mit zum Hafen. Du kannst uns helfen.«
    »Bei was?«
    »Zieh ein Sweatshirt mit Kapuze an, wenn du eins hast, das ist besser.«
    Mehr war nicht zu erfahren, und weil ich unbedingt mitmachen wollte, bohrte ich auch nicht nach. Bei weiteren Fragen hätte Xian seinen Vorschlag vielleicht zurückgezogen. Mir blieben nur wenige Stunden zum Schlafen. Aber ich war viel zu aufgeregt, um Ruhe zu finden.
    Um Punkt fünf Uhr war ich zur Stelle, im Hausflur stießen ein paar andere zu uns. Außer mir und einem meiner Mitbewohner fanden sich noch zwei grauhaarige Maghrebiner ein. In einem Kleinbus fuhren wir in den Hafen. Ich weiß nicht, wie lange und auf welchem Weg wir durch das Gewirr von schluchtartigen Gassen fuhren. Ans Fenster gelehnt, war ich eingeschlafen. Bei einem Felsenvorsprung stiegen wir aus, an einer kleinen Mole, in die eine Stichstraße mündete. Dort lag ein Boot vor Anker mit einem riesigen Motor, der wie ein dik-ker Schwanz an dem schmalen, langgestreckten Bootskörper hing. Mit unseren Kapuzen sahen wir aus wie eine lächerliche Rapperband. Die Kapuze, von der ich geglaubt hatte, wir brauchten sie, um nicht erkannt zu werden, diente nur als Schutz vor den eisigen Wasserspritzern und vor der Migräne, die am frühen Morgen auf offenem Meer unter den Schläfen pocht. Ein junger Neapolitaner ließ den Motor an, ein anderer steuerte das Boot. Sie sahen aus wie Brüder, jedenfalls hatten sie die gleichen Gesichter. Xian kam nicht mit. Nach einer etwa halbstündigen Fahrt näherten wir uns einem Schiff. Fast schienen wir darauf zu prallen. Es war riesig. Ich konnte nur mit Mühe den Kopf so weit zurücklehnen, daß ich sah, wo die Bordwand endete. Auf dem Meer stoßen die Schiffe eiserne Schreie aus, dumpf und hohl wie der Klagelaut von Bäumen, wenn sie gefällt werden, und unwillkürlich schluckte ich mehrmals die salzige Spucke.
    Ein Flaschenzug ließ ruckweise ein prall mit Kartons gefülltes Netz von dem Schiff herunter. Jedesmal, wenn die Last gegen das Holz schlug, geriet unser Boot so ins Schwanken, daß ich mich schon darauf vorbereitete, schwimmen zu müssen. Doch ich landete nicht im Wasser. Die Kartons waren nicht sonderlich schwer. Nachdem ich allerdings etwa dreißig davon im Heck unterbracht hatte, schmerzten mir die Handgelenke, und meine Unterarme waren aufgeschürft von den Kanten der Kisten. Wir kehrten zur Küste um, während zwei andere Boote beidrehten, um weitere Kartons zu laden. Sie waren nicht von derselben Mole wie wir gekommen, aber plötzlich in unserem Kielwasser aufgetaucht. Jedesmal, wenn der Bug unseres Bootes auf die Wasseroberfläche aufschlug, spürte ich, wie sich mein Magen zusammenkrampfte. Ich legte den Kopf auf eine der Schachteln. Am Geruch versuchte ich, ihren Inhalt zu erraten, dann legte ich das Ohr daran, um aus den Geräuschen Rückschlüsse zu ziehen. Plötzlich hatte ich Schuldgefühle. Wer weiß, woran ich mich da beteiligt hatte, ohne nachzudenken, ohne eine wirkliche Entscheidung getroffen zu haben. Etwas riskieren, das schon, aber wenigstens bewußt. Statt dessen hatte ich aus reiner Neugier am Ausladen von Schmuggelware teilgenommen. Unsinnigerweise glaubt man, eine illegale Tat müsse aus irgendeinem Grund genauer überlegt und gewollt sein als eine legale. In Wirklichkeit gibt es keinen Unterschied. Unser Handeln besitzt eine Elastizität, die unseren ethischen Grundsätzen fremd ist. An der Mole sprangen die Maghrebiner mit zwei Schachteln auf den Schultern von Bord, während ich

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