Gone 4: Rache
heißen Herdplatte gelandet.
Der Löwe schüttelte seine Tatze und verspritzte Blut. Eine seiner Zehen war schlimm zugerichtet, sie schien nur noch an einer Sehne zu hängen.
Das Ding in Hunters Schulter hatte Alter Löwe gebissen.
Hunter zögerte keine Sekunde. Er hob die Hände und zielte.
Es entstand kein Licht. Die Hitze, die aus seinen Händen schoss, war unsichtbar. Aber im Kopf des Berglöwen stieg die Temperatur auf das Doppelte und Dreifache, brachte das Hirn zum Kochen. Tötete ihn sofort.
Hunter zog sich das Hemd von der Schulter. Die Mundwerkzeuge des Insekts schoben sich knirschend hin und her. Sie kauten an einem blutigen Stück Löwenfleisch.
Drei
72 Stunden, 3 Minuten
Astrid hatte den kleinen Pete gefüttert.
Jetzt wollte sie ein wenig lesen, saß am Fenster und hielt das Buch in das schwache Mondlicht.
Sie kam kaum voran. Es war ein Buch, das sie früher niemals angerührt hätte. Lieber wäre sie gestorben, als sich mit einer Teenie-Romanze erwischen zu lassen. Damals hatte sie Klassiker gelesen, literarisch wertvolle Bücher. Und historische Wälzer. Doch jetzt brauchte sie etwas, was ihr zur Flucht verhalf. Ihr ermöglichte, der FAYZ mit all ihren Schrecken eine Zeit lang zu entkommen.
Nach ein paar Minuten legte sie es wieder beiseite. Ihre Hände zitterten. Fluchtversuch: gescheitert. Versuch, ihre Angst zu verdrängen: ebenfalls gescheitert.
Als draußen eine Brise aufkam und die Äste der Bäume raschelnd über die Hauswand strichen, nahm Astrid es zwar wahr und wunderte sich kurz, dachte aber nicht weiter darüber nach. Sie war mit anderen Dingen beschäftigt.
Sie fragte sich, wo Sam gerade steckte. Was er tat. Ob er sich genauso nach ihr sehnte, wie sie sich nach ihm.
Ja, doch, sie wollte ihn. Sie wollte in seinen Armen liegen. Sie wollte ihn küssen. Und wahrscheinlich noch viel mehr.
Alles, was er wollte, wollte sie auch.
Merkte er das denn nicht, der Idiot? War er so ahnungslos, dass er nicht begriff, dass sie ihn auch wollte?
Aber sie war nicht wie Sam. Astrid war nicht impulsiv. Sie dachte über alles immer erst gründlich nach. Astrid, das Genie. Die nie ihre beschissene Kontrolle verlor. Das war es, was er ihr an den Kopf geworfen hatte: ihre beschissene Kontrolle.
Wieso konnte Sam nicht verstehen, dass sie sich dafür viel zu jung fühlte? Wenn sie mit ihm schlief, würde sie ihren Grundsätzen nur erneut den Rücken zukehren. Der nächsten Schwäche nachgeben.
Astrid war, als würde sich ihre Seele auflösen, als fielen Teile wie Schuppen von ihr ab. Manche davon ziemlich groß.
Es war fast lachhaft, wie schnell sie die Kontrolle über sich verloren hatte. Das gelassene, zivilisierte und von Vernunft gesteuerte Mädchen, das sie vor der FAYZ gewesen war, war verdunstet wie ein Tropfen Wasser auf einer heißen Kochplatte. Zisch und weg. Übrig geblieben war die pure Gewalt.
Sie war kurz davor gewesen, Nerezza zu töten. In einem Anfall blinder Wut. Allein wenn sie daran dachte, wurde ihr schlecht.
Das war aber längst nicht alles. Sie hatte gewollt, dass Sam Drake zu Asche verbrannte – und somit auch die unschuldige Brittney.
Astrid wollte kein solcher Mensch sein. Sie musste sich Zeit nehmen, um ihr altes Selbst wiederzufinden. Zu dem Mädchen zu werden, das sie einmal war. Sie fürchtete, sonst früher oder später zu zerbrechen. Wie eine Glasskulptur, die so lange behauen wird, bis sie in tausend Scherben zerfällt.
Und trotzdem warnte ihr kühler, berechnender Teil sie, Sam nicht zu sehr zu reizen. Es war nämlich nur eine Frage der Zeit, bis die anderen dahinterkamen, dass es sehr wohl einen Ausweg aus der FAYZ gab.
Er lag direkt vor ihnen. Nur ein paar Meter von Astrid entfernt.
Ein einfacher Mord …
Astrid war nicht die Einzige gewesen, die gesehen hatte, wie der kleine Pete auf der Klippe – überwältigt vom Verlust seines blöden Gameboys – kurz das Bewusstsein verloren hatte.
Ein einfacher Mord …
Sie saß neben ihrem reglosen Bruder. Sie sollte seine Zähne putzen. Sollte ihm einen frischen Pyjama anziehen. Sollte …
Seine Stirn war feucht.
Astrid legte ihre Hand auf seinen Kopf. Er fieberte schon die ganze Nacht, aber jetzt war es schlimmer geworden. Sie drückte den Knopf am Thermometer, wartete, bis die Anzeige aufblinkte, und schob es unter Petes Zunge.
Ein kühler Windhauch streifte ihr Gesicht. Ihr Blick wanderte zum Fenster. Es war offen. Bis zum Anschlag nach oben geschoben.
Eben hatte sie noch dort gesessen. Da war
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