Gone 5: Angst (German Edition)
die ersten – ungefähr fünfzig Leute, die aus Perdido Beach herbeigeeilt waren. Anfangs waren nur ein paar Soldaten zu sehen gewesen, das Blaulicht der rasch näher kommenden Einsatzfahrzeuge der Polizei, ein Hubschrauber und eine Handvoll Eltern.
Inzwischen trafen immer mehr Eltern ein. Sie kamen aus ihren neuen Häusern in Arroyo Grande, Santa Maria und Orcutt. Diejenigen, die weiter weggezogen waren und jetzt in Santa Barbara oder Los Angeles wohnten, würden länger brauchen.
Manche von ihnen hielten Plakate hoch.
Wo ist Charlie?
Wo ist Bette?
Wir lieben dich!
Du fehlst uns so!
Geht es dir gut?
In der FAYZ war kaum noch Papier vorhanden, außerdem waren die Kids einfach losgerannt. Aber ein paar von ihnen fanden zerfledderte Pappkartonfetzen und zu Bruch gegangene Wandverkleidungen und kratzten ihre Antworten mit spitzen Steinen darauf.
Ich will hier raus!
Sagt meiner Mom, es geht mir gut!
Helft uns.
Das alles wurde vom Hubschrauber aus gefilmt und von den Erwachsenen – den Eltern, Polizisten und Schaulustigen – staunend beobachtet.
Smartphones ragten über die Köpfe, fotografierten und nahmen Videos auf.
Auf dem Ozean erschienen die ersten Boote. Und auch von dort gafften sie sie durch Fernrohre an.
Ein altes Ehepaar stieg aus einem Wohnmobil. Sie eilten herbei, kritzelten etwas auf ein Blatt Papier und hielten es den Kindern hin: Bitte seht nach unserem Kater Ariel .
Darauf antwortete niemand. Die Katzen waren während der Hungersnot alle gegessen worden.
Wo ist meine Tochter? Und ein Name.
Wo ist mein Sohn? Und ein Name.
Astrid fragte sich bitter, wessen Job es eigentlich war, das zu beantworten? Tot. Tot. Von fleischfressenden Würmern getötet. Von sprechenden Kojoten gerissen.
Beim Streit um eine Tüte Chips erschlagen.
Selbstmord begangen.
Tot, weil sie mit Zündhölzern gespielt hat und es so was wie eine Feuerwehr hier nun mal nicht gibt.
Getötet, weil sonst nichts mehr ging.
Wie erklärte man der Außenwelt, wie sie in der FAYZ lebten?
Dann bemerkte sie ein ihr vertrautes Auto, das beinahe auf einen der geparkten Streifenwagen drauffuhr. Ein Mann sprang heraus und half einer Frau, die sich kaum auf den Beinen halten konnte. Astrids Eltern traten an die Barriere. Ihr Vater stützte ihre Mutter, als befürchtete er, sie würde sonst zusammenbrechen.
Der Anblick der beiden zerriss ihr das Herz. Offenbar war den Erwachsenen und älteren Jugendlichen nichts zugestoßen, als Pete in seiner Panik die FAYZ schuf. Astrid musste daran denken, wie oft sie sich den Kopf zermartert und nach einer Erklärung gesucht und sich jedes nur denkbare Szenario ausgemalt hatte. Alle Eltern tot. Alle Eltern am Leben. Alle in einer Art Paralleluniversum. Alle um ihre Erinnerung gebracht, aus der Vergangenheit ebenso verschwunden wie aus der Gegenwart.
Jetzt waren sie auf einmal wieder da, weinten, winkten, starrten zu ihnen herüber. Sie waren von der monatelangen Ungewissheit gezeichnet und verlangten nach Antworten, die sich unmöglich auf ein paar Worte reduzieren ließen.
Wo ist Pete?
Astrids Mutter hielt die Worte hoch. Sie hatte sie mit Leuchtstift auf eine Leinentasche gemalt, weil Papier bei dem heftigen Regen unbrauchbar war.
Astrid starrte die Worte lange an. Und brachte am Ende nicht viel mehr zustande als ein Achselzucken und ein Kopfschütteln.
Ich weiß nicht, wo Pete ist.
Ich weiß nicht einmal, was Pete ist.
Sam stand neben ihr. Er berührte sie nicht. Nicht, solange so viele Augenpaare auf ihnen ruhten.
Sie wollte sich an ihn schmiegen. Die Augen schließen und sie erst öffnen, wenn sie wieder am See wären.
Monatelang hatte Astrid sich nichts sehnlicher gewünscht, als diesen Ort verlassen zu können und zu ihren Eltern und in ihr altes Leben zurückzukehren. Jetzt ertrug sie es kaum, die beiden anzusehen, und wäre am liebsten weggelaufen.
Sie waren ihr fremd. Und das, was Sam immer schon gewusst und befürchtet hatte, war ihr jetzt auch klar: Sie würden sie verurteilen.
Dekka stand mit verschränkten Armen hinter Sam, beinahe so, als wollte sie sich verstecken. Quinn und Lana standen nebeneinander, staunend und überwältigt vom Anblick der Außenwelt, aber noch ohne ein bekanntes Gesicht gesehen zu haben.
»Wir sind wie Affen im Zoo«, sagte Sam.
»Nicht ganz«, entgegnete Astrid. »Menschen mögen Affen. Sieh nur, wie sie uns ansehen. Stell dir vor, was sie sehen.«
»Das stelle ich mir schon seit Monaten vor.«
Astrid nickte. »Ja, ich
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