Gone 5: Angst (German Edition)
weiß.«
»Soll ich dir sagen, was sie sehen? Was meine Mutter sieht? Einen Jungen, der Licht aus seinen Händen feuert und ein Baby abfackeln wollte. Sie waren Zeugen, als ich ein Kind verbrannte. Das kann ich mit keiner Erklärung je wiedergutmachen.«
»Wir sehen aus wie Wilde«, sagte Astrid. »Dreckige, verhungerte und in Lumpen gekleidete Penner. Überall Waffen. Ein totes Mädchen mit eingeschlagenem Schädel.«
Ein Blick auf ihre Mutter schien das zu bestätigen. In ihrem Gesicht war keine Freude und schon gar nicht Erleichterung zu sehen. Nur blanker Horror. Und Distanz.
Es war, als würden jetzt beide Seiten die Kluft erkennen, die sich zwischen ihnen aufgetan hatte. Astrids Vater wirkte auf einmal so klein. Ihre Mutter gealtert. Wie auf einem verblichenen Foto, irgendwie unecht. Nicht annähernd so echt wie in ihrer Erinnerung.
Astrid hatte den Eindruck, dass ihre Eltern durch sie hindurchschauten. Als wünschten sie sich, nicht sie zu sehen, sondern das Mädchen, das sie nicht mehr war.
Brianna zoomte heran – ihr plötzliches Auftauchen war eine willkommene Ablenkung. Die Leute auf der anderen Seite spitzten die Lippen zu erstaunten Ohs und Ahs, zeigten auf sie und schwenkten ihre Kameras herum.
Brianna tippte sich mit zwei Fingern an die Stirn und deutete eine Verbeugung an.
»Bereit für die Nahaufnahme«, brummte Dekka.
»Ist es plötzlich hell hier drin oder bin ich das, die so strahlt?«, alberte sie. Dann zog sie ihre Machete, focht zehnmal schneller als menschenmöglich mit der Luft, schob sie zurück in die Scheide und verbeugte sich noch einmal vor ihrem völlig baffen und erschütterten Publikum. »Aber klar doch spiele ich mich selbst im Film. Die Stunts, die euch der Wirbelwind liefert, lässt eure Spezialeffekte alt aussehen!«
Astrid konnte zum ersten Mal wieder richtig durchatmen und war Brianna dankbar, dass sie die Spannung ein wenig gelöst hatte.
»Zurück zur Tagesordnung«, sagte Brianna nun an Sam gewandt. »Sie wollen in die Wüste. Eine glückliche kleine Familie. Mutter und Tochter und Onkel Peitsch-mich-mal. Als ich ein bisschen näher ran bin, wäre ich von der Kleinen beinahe unter einer Tonne Felsgestein begraben worden. Echt krass, das Baby. – Eigentlich ein guter Slogan, oder? Sollte ich mir aufs T-Shirt schreiben.«
»Wehe dir …«, erwiderte Dekka.
Astrid lächelte. Ihre Mutter dachte, es gälte ihr, und lächelte ebenfalls.
»Jemand hat gefilmt, wie ich diese Kreatur verbrannte«, sagte Sam. »Ist euch klar, was die da draußen denken werden?«
Astrid spürte, dass er am liebsten aus der Haut gefahren wäre. Connie Temple war das Grauen ins Gesicht geschrieben, mit dem sie ihren Sohn betrachtete.
Nur ihn, nicht Caine, denn der hatte sie bloß eine Weile gemustert und sich dann wortlos umgedreht.
»Sam«, sagte Astrid leise. »Davor fürchtest du dich doch schon lange. Dass sie dich verurteilen werden.«
Sam nickte. Sein Blick war zu Boden gesenkt. Dann hob er den Kopf und sah sie an.
Sie hatte mit Trauer in seinen Augen gerechnet, vielleicht auch mit Schuld. Doch was sie sah, ließ sie vor Erleichterung aufatmen. Sie schaute in die Augen des Jungen, der kein einziges Mal einen Rückzieher gemacht hatte. Sie sah den Jungen, der der FAYZ von Anfang an die Stirn geboten hatte – gleich zu Beginn, als er Orc und seine Schläger herausforderte, und später, als er gegen Caine und Drake und Penny kämpfte.
Sie sah Sam Temple. Ihren Sam Temple.
»Egal«, sagte Sam. »Sollen sie denken, was sie wollen.«
»Es wird langsam dunkel«, meinte Dekka. »Sobald es Nacht ist, sollten wir Penny hier wegschaffen. Sie starren sie alle an.«
»Ja«, sagte Sam. Dann ging er entschlossen zu der Stelle, wo Pennys Leiche lag.
Sämtliche Kameras waren auf ihn gerichtet.
Blicke – viele von ihnen feindselig – folgten jeder seiner Bewegungen.
Sam schaute zuerst direkt in die Kameras. Dann sah er seine Mutter an.
Und schließlich richtete er seine Handflächen auf Pennys Leiche und verbrannte sie systematisch, bis außer einem Häufchen Asche nichts mehr von ihr übrig war.
Connie Temple stand regungslos da. Sie weigerte sich, den Blick abzuwenden.
Als Sam fertig war, nickte er seiner Mutter zu, drehte sich um und kehrte zu Astrid zurück. »Sie wird nicht auf der Plaza neben den Leuten begraben, die grundlos gestorben sind. Wenn wir schon jemanden begraben wollen, sollten wir nach den Resten von Cigar und Taylor suchen.«
»Schwer zu sagen, ob Taylor tot
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