Gone Girl - Das perfekte Opfer: Roman (German Edition)
glorreichen Zeiten, obwohl das natürlich niemand wusste. In New York wimmelte es von Journalisten, echten Autoren, denn es gab Zeitschriften, echte Zeitschriften, und zwar jede Menge. Es war die Zeit, in der das Internet noch ein exotisches Haustier war, das in einem kleinen Eckchen der Verlagswelt hauste – man warf ihm ein bisschen Trockenfutter hin, beobachtete, wie es an seiner kleinen Leine herumtänzelte, oh, wie niedlich, das wird uns bestimmt nicht eines Nachts totbeißen. Stellt euch das mal vor: Es war eine Zeit, in der College-Kids, die gerade ihren Abschluss gemacht hatten, nach New York kommen konnten und fürs Schreiben bezahlt wurden . Wir hatten keinen Schimmer, dass wir uns auf einen Beruf einließen, der innerhalb des nächsten Jahrzehnts vom Erdboden verschwinden würde.
Elf Jahre lang machte ich meinen Job, und dann war ich ihn los, von jetzt auf gleich. Überall im Land machten Zeitschriften dicht, erlagen einer plötzlichen, von unserem kaputten Wirtschaftssystem hervorgerufenen Infektion. Autoren (meine Art von Autoren: aufstrebende, ehrgeizige Schriftsteller, Grübler und Denker, Leute, deren Hirn nicht schnell genug arbeitet, um zu bloggen, zu vernetzen oder zu twittern, im Wesentlichen also alte, sture Aufschneider) gab es nicht mehr. Wir waren wie Hutmacher oder Peitschenhersteller für Pferdekutschen – unsere Zeit war vorbei. Drei Monate nach meiner Entlassung verlor Amy ihren Job. (Jetzt spüre ich, wie Amy mir über die Schulter schaut und grinst, weil ich so viel Zeit damit verbracht habe, über meinen Beruf und mein Pech zu berichten, während ich ihren Teil der Geschichte mit einem einzigen Satz abgetan habe. So ist er eben, würde sie euch erklären. Typisch Nick . Das war ein Lieblingsspruch von ihr: Typisch Nick, dass er … und was immer dann folgte, war schlecht – und typisch für mich .) Zwei arbeitslose Erwachsene, schlappten wir wochenlang in Socken und Pyjamas durch unser Brooklyner Stadthaus, ignorierten die Zukunft, verteilten ungeöffnete Briefumschläge auf Tische und Sofas, aßen Eis um zehn Uhr vormittags und hielten überlange Mittagsschläfchen.
Doch dann klingelte eines Tages das Telefon. Am anderen Ende war meine Zwillingsschwester. Margo war vor einem Jahr, nach ihrer eigenen Entlassung, von New York wieder nach Hause gezogen – das Mädchen war mir bei allem einen Schritt voraus, sogar beim Pechhaben. Margo rief mich also aus dem guten alten North Carthage, Missouri an, aus dem Haus, in dem wir aufgewachsen sind, und während ich ihrer Stimme lauschte, sah ich sie vor mir als Zehnjährige, mit ihrem dunklen Haarschopf, in Overall-Shorts, wie sie auf dem hinteren Dock meiner Großeltern hockte – zusammengesackt wie ein altes Kissen, die dünnen Beine baumelten im Wasser – und beobachtete, wie der Fluss über ihre fischweißen Füße hinwegfloss, schon als Kind ruhte sie absolut in sich.
Gos Stimme war warm und knistrig, trotz der kalten Nachricht, die sie zu überbringen hatte. Unsere Mutter lag im Sterben. Unser Dad war schon seit einer Weile auf dem Sprung – seine (böse) Seele und sein (armseliges) Herz wanderten über verschlungene Wege aufs große graue Jenseits zu. Aber nun sah es ganz danach aus, als würde unsere unbeugsame Mutter ihn überholen. Sechs Monate blieben ihr angeblich noch, vielleicht auch ein Jahr. Mir war klar, dass Go sich mit dem Arzt unterhalten und sich mit ihrer schlampigen Handschrift eifrig Notizen gemacht hatte, die sie jetzt mit verheulten Augen zu entziffern versuchte. Daten und Dosierungen.
»Hmm, Scheiße, ich hab keine Ahnung, was das hier heißen soll – ist das eine Neun? Ergibt das überhaupt einen Sinn?«, grummelte sie, und ich fiel ihr ins Wort. Hier war eine Aufgabe, ein Ziel, und meine Schwester hielt mir das Angebot wie eine Pflaume auf der ausgestreckten Hand hin. Um ein Haar hätte ich vor Erleichterung geweint.
»Ich komm zurück, Go. Wir ziehen wieder nach Hause. Du musst das nicht alleine durchstehen.«
Sie glaubte mir nicht. Ich hörte sie am anderen Ende der Leitung atmen.
»Ich meine es ernst, Go. Warum nicht? Was hält mich hier?«
Ein langes Ausatmen. »Und Amy?«
Darüber dachte ich nicht ausführlich genug nach. Ich ging einfach davon aus, dass ich meine New Yorker Ehefrau mit ihren New Yorker Interessen und ihrem New Yorker Stolz zusammenpacken, von ihren New Yorker Eltern wegreißen und in eine Missouri-Kleinstadt am Mississippi verpflanzen könnte. Sie würde ihr
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