Gone Girl - Das perfekte Opfer: Roman (German Edition)
Lieferleute. Die ganze Straße wabert, und Nick zieht mich an sich, lächelt wieder dieses Lächeln, nimmt eine Haarsträhne von mir zwischen zwei Finger und lässt sie bis zum Ende durchgleiten, zieht zweimal daran, als wäre es eine Klingelschnur. Seine Wimpern sind mit Puderzucker bestreut, und bevor er sich über mich beugt, wischt er den Zucker von meinen Lippen, damit er nicht nur den schmeckt, sondern mich.
Nick Dunne
Der Tag, als
Ich ließ die Tür zu meiner Bar weit aufschwingen, schlüpfte in die Dunkelheit und nahm den ersten richtigen Atemzug des Tages, sog den Geruch von Zigaretten und Bier ein, den Beigeschmack von verkleckertem Bourbon, den penetranten Duft von altem Popcorn. Nur ein einziger Gast war in der Bar, allein, ganz hinten: eine ältere Frau namens Sue, die jeden Donnerstag mit ihrem Mann hierher kam, bis er vor drei Monaten starb. Jetzt kam sie allein, jeden Donnerstag, redete nie viel, sondern saß einfach da mit ihrem Bier und ihrem Kreuzworträtsel und hielt ein Ritual aufrecht.
Meine Schwester stand hinterm Tresen, die Haare mit Nerd-Girl-Spangen zurückgesteckt, die Arme rosa, und tunkte die Biergläser ins warme Spülwasser. Go ist schlank und hat ein seltsames Gesicht, was aber nicht heißen soll, dass sie unattraktiv ist. Es dauert nur einen Moment, bis ihre Gesichtszüge für den Betrachter einen Sinn ergeben: das breite Kinn, die spitze Nase, die dunklen Kulleraugen. In einem alten Film würde ein Mann bei ihrem Anblick an seinen Filzhut tippen, ihr hinterherpfeifen und sagen: »Echt scharfe Braut!« Das Gesicht einer Screwball-Filmdiva lässt sich nicht immer leicht in unsere Zeit der Elfenprinzessinnen übersetzen, aber in den Jahren, die wir zusammengelebt haben, habe ich gelernt, dass Männer meine Schwester mögen, sehr sogar, was mich in die sonderbare Bruder-Bredouille bringt, gleichzeitig stolz und wachsam sein zu wollen.
»Machen die immer noch diesen gewürzten Fleischkäse?«, fragte sie als Begrüßung, ohne aufzublicken, denn sie wusste, dass ich es war, und ich fühlte die übliche Erleichterung, wie immer, wenn ich sie sah: Vielleicht war nicht alles toll, aber es würde schon okay werden.
Meine Zwillingsschwester Go. Dieses Wort habe ich schon so oft gesagt, dass es eine Art Mantra geworden ist, aus dem man die einzelnen Worte gar nicht mehr heraushört. Wir sind in den Siebzigern geboren, damals, als Zwillinge noch eine Seltenheit waren, ein bisschen magisch sogar: Verwandte des Einhorns, Elfen-Geschwister. Wir haben sogar einen Hauch Zwillings-Telepathie. Go ist wirklich und wahrhaftig die einzige Person auf der ganzen Welt, bei der ich ganz ich selbst bin. Ich habe nicht den Drang, ihr zu erklären, was ich tue. Ich beschönige nichts, ich zweifle nicht, ich mache mir keine Sorgen. Inzwischen erzähle ich ihr nicht mehr alles, aber ich erzähle ihr mehr als sonst irgendjemandem. Bei weitem. Ich erzähle ihr, so viel ich kann. Schließlich haben wir neun Monate Rücken an Rücken verbracht, und der eine hat dem anderen Deckung gegeben. Das ist inzwischen zu einer lebenslangen Gewohnheit geworden. Mich hat es nie gestört, dass Go ein Mädchen war, eigentlich seltsam für ein unsicheres Kind wie mich. Aber was soll ich sagen? Sie war einfach cool. Schon immer.
»Du meinst das Zeug, das so ähnlich ist wie Frühstücksfleisch? Ich glaube, ja.«
»Dann sollten wir uns was davon holen«, sagte sie. Sie zog eine Augenbraue hoch. »Interessiert mich.«
Ohne zu fragen, zapfte sie mir ein Pint Pabst Blue Ribbon in ein Glas von fragwürdiger Sauberkeit. Als sie mich dabei ertappte, wie ich den verschmierten Rand anstarrte, hob sie das Glas an die Lippen, leckte den Fleck weg und produzierte dafür eine Spuckespur. Dann stellte sie das Bier vor mich hin. »Besser so, mein Prinz?«
Go ist überzeugt, dass ich von unseren Eltern in allem das Beste abgekriegt habe, weil ich der Junge war, den sie geplant hatten, das Einzelkind, das sie sich leisten konnten, und dass sie – Go – sich an meinen Fuß geklammert und auf diese Weise in die Welt gemogelt hat, ein unwillkommener Fremdling. (Besonders für meinen Dad.) Sie glaubt, dass man sie die ganze Kindheit hindurch vernachlässigt hat, eine erbärmliche Kreatur mit wahllos aufgetragenen Klamotten und verschollenen elterlichen Erlaubnisscheinen, strengen Sparauflagen und genereller Entbehrung. Dass an dieser Sicht der Dinge etwas Wahres sein könnte, gebe ich nur sehr ungern zu.
»Ja, meine armselige kleine
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