Google-Mitarbeiter Nr. 59
bisschen Wirtschaftstheorie in meinen Hohlkopf zu pflanzen. Sie hatte mir einen Stapel ihrer alten Fachbücher mit dem unmissverständlichen Hinweis übergeben, diese zu lesen. Tatsächlich fand ich einige der Titel interessant, einschließlich Michael Porters Wettbewerbsstrategie und David Aakers Bücher über Branding.
Ich schrieb alles auf das Blatt Papier, woran ich mich erinnerte: die fünf Ps (oder waren es sechs?), die vier Ms, Markteintrittsbarrieren, Differenzierung durch Qualität oder Preis. Als Sergey zurückkam, hatte ich genügend Material, um zehn Minuten zu sprechen, und war zuversichtlich, ihn vollquatschen zu können. Ich ging zum Whiteboard und zeichnete voller Elan Kreise, Quadrate sowie abgeschossene Pfeile – wie der Elbe Legolas in Tolkiens Herr der Ringe. Ich war nervös, aber nicht sehr. Sergey dribbelte mit einem Ball und stellte Fragen, die mich zwangen, meine Aussagen auf den Punkt zu bringen.
»Was ist die wirkungsvollste Eintrittsbarriere?«
»Was ist wichtiger: Produktdifferenzierung oder Werbung?«
»Inwiefern ändert sich die Strategie, wenn der Preis gleich null ist?«
Er schien aufmerksam zuzuhören und die Sache begann, mir Spaß zu machen. Wir hatten einen Draht zueinander! Offenkundig wollte er hören, was ich zu sagen hatte, und er schätzte meine Meinung. Später fand ich heraus, dass sich Sergey bei diesen Gesprächen immer so verhielt. Eine Stunde mit einem unqualifizierten Bewerber war nicht ganz verschwendet, wenn er dabei etwas Neues erfahren konnte.
Als ich mit meinen Ausführungen fertig war, dämmerte es bereits und Sergey lud mich ein, gemeinsam mit dem Team zu Abend zu essen. Gegessen wurde in einer kleinen Küche gegenüber dem Konferenzraum. Eine Meute hungriger Techniker arbeitete sich mit Stäbchen von Platte zu Platte und versorgte sich dabei mit einer großen Auswahl an Sushi.
»Wir haben gerade einen Koch eingestellt, deshalb haben wir diese provisorische Vorrichtung«, gestand Sergey. »Wir lassen auch zwei Heilmasseure in die Firma kommen.«
In meinem Kopf blinkte eine Warnleuchte auf. Dieser Bursche hielt ein Marketingbudget für überflüssig, engagierte aber einen Koch und zwei Masseure? Aber dann sah ich die Platten voller Thunfisch, Shrimps, Lachs und Barsch. Ich schnappte mir Stäbchen und lud mir den Teller voll. Jegliche Bedenken wegen eines Geschäftsplans, Umsatz und Organisationsstrukturen schwanden dahin. Google erfüllte die meisten meiner Anforderungen. Es bot zumindest den Anschein von überragender internetbezogener Technologie, ein paar exzentrische, geniale Typen, finanzielle Mittel, die mindestens ein Jahr reichen würden, und eine witzige Marke, an deren Entwicklung ich mithelfen konnte. Und Sushi. Falls Google das Geld ausging, konnte ich immer noch in das nächste Start-up wechseln oder in meinen alten Job zurückkehren. Und in der Zwischenzeit, so sagte ich mir, würde ich gut essen und vielleicht etwas Nützliches lernen.
Der erste Tag
An meinem ersten Tag war ich schon vor 9 Uhr im Büro, um bei meinen neuen Teamkollegen einen guten Eindruck zu machen. Meine Kakihose war frisch gewaschen, mein Poloshirt knitterfrei. Ich bin nicht sicher, ob es den drei oder vier Googlern, die kurz vor 10 Uhr in kurzen Hosen, Sandalen und Google-T-Shirts eintrudelten, überhaupt auffiel. Es stellte sich heraus, dass die Techniker es bevorzugten, ihre Arbeitszeit nach hinten zu schieben, um der morgendlichen Rush-Hour aus dem Weg zu gehen. Es bringt mehr, erst dann zur Arbeit zu fahren, wenn sich der dichte Verkehr bereits aufgelöst hat, und erst nach Hause zu fahren, wenn alle anderen schon schlafen. Und alles, was gebügelt werden musste, landete automatisch auf der Verlustseite der Kosten-Nutzen-Rechnung. Effizienz, so würde ich schnell lernen müssen, wird bei jenen, die ihr Leben der besseren Funktionsweise von Dingen widmen, hochgeschätzt.
Im hellen Morgenlicht war der Bürobereich noch spartanischer, als es mir während meines Bewerbungsgesprächs am späten Nachmittag vorgekommen war. In einem großen Raum standen ein Dutzend Tische, die aus Holztüren bestanden, die auf metallene Sägeböcke geschraubt waren. Um diesen Raum herum lagen kleine Büros mit jeweils mindestens zwei Arbeitsplätzen und riesigen Monitoren. Viele der Bildschirmschoner zeigten die herabregnenden grünen Buchstaben und japanischen Schriftzeichen, die Matrix so populär gemacht hatte. Ein einsames Buchregal, vollgestopft mit Programmierbüchern, war in
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