Google-Mitarbeiter Nr. 59
wiesen. Ich ging in den ersten Stock.
Die junge Rezeptionistin mit Wuschelkopf lächelte mich an. Bei ihrem Anblick musste ich an die Geschichten von Sekretärinnen denken, die Millionen damit gemacht hatten, dass sie sich frühzeitig Aktienanteile gesichert hatten. War sie eine von denen? Sie führte mich zu einem kleinen Zimmer, in dem ein fast drei Meter großes Whiteboard an der Wand hing. Außerdem gab es noch den üblichen runden Tisch und etliche aufgeblasene Gummibälle, die groß genug waren, um darauf sitzen zu können. Nichts deutete auf Geldströme hin, die darauf warteten, in einem sintflutartigen IPO (Initial Public Offering = erstmaliges öffentliches Anbieten von Aktien an der Börse) hervorzubrechen. Es war lediglich ein Konferenzraum in einem typischen Bürogebäude an einem ereignislosen Nachmittag im Spätherbst. Während ich einen ein Meter großen Ball tätschelte, um mir die Zeit zu vertreiben, spazierten verschiedene Leute aus dem kaufmännischen Bereich des Unternehmens herein und stellten sich vor.
Susan Wojcicki, der die Garage gehörte, die Google als erste Firmenzentrale gedient hatte, war von ihrem Arbeitgeber Intel zu ihrem Mieter Google gewechselt und hatte die Stelle der Marketingmanagerin inne. Cindy McCaffrey war von Apple gekommen und leitete jetzt die Abteilung Public Relations. Gemeinsam stellten sie mir mit der damals so verbreiteten überschäumenden Energie das Unternehmen vor. Zumindest hatten sie Fakten, auf die sich ihr Optimismus gründete. Time hatte über die Website geschrieben. Die Seitenaufrufe nahmen sprunghaft zu und Google verfügte über reichlich finanzielle Absicherung – wenn auch über keine unmittelbaren Umsätze. Aber das würde schon noch kommen, versicherte man mir. Sie fragten mich nach meiner Erfahrung, vor allem mit Viralmarketing. Cindy deutete an, dass dies den Firmengründern Larry Page und Sergey Brin wichtig sei.
»Klar habe ich schon damit gearbeitet«, versicherte ich den beiden und blätterte durch meine prall gefüllte Mappe, um ihnen den »Nerd for the New Millenium«-Wettbewerb zu zeigen, den ich gemeinsam mit dem Tech Museum ausgearbeitet hatte, sowie die ovalen SV.com Sticker, welche die Merc an lokale Venture-Capital-Geber verschickt hatte, damit sie die auf ihren Porsche klebten. Das war zwar nicht so ganz »viral«, aber das, was ich vorzuweisen hatte.
Die beiden waren gleichermaßen orthogonal in ihren Antworten auf meine Fragen zu Googles Geschäftsmodell und Unternehmensstruktur.
»Momentan lizenzieren wir Suchtechnologie«, informierte mich Susan. »Aber wir haben noch ein paar andere Dinge in Arbeit.«
»Wir haben eine sehr flache Unternehmenshierarchie«, erklärte Cindy. »Es gibt keine klar definierten Aufgabenbeschreibungen und jeder macht alles.«
Ich nickte lächelnd, um zu signalisieren, dass das für mich absolut Sinn ergab, bedankte mich und sagte, dass es sich anhöre, als hätte Google eine große Zukunft vor sich.
Während der Taurus über den Highway 101 nach Hause kroch, schaltete ich das Radio ein und sang laut mit. Ich hatte den Eindruck, dass Cindy und Susan interessiert waren und mich zurückrufen würden. Das war eine Erleichterung nach so vielen erfolglosen Monaten. Ich spürte, wie sich das Blatt wendete. Ich hatte lange gehungert und schnupperte nun eine Gelegenheit.
Eine schwierige Frage – und als Belohnung roher Fisch
Zwei Tage später rief mich Leesa, die Recruiterin von Google, an und lud mich zu einem Treffen mit weiteren Teammitgliedern ein. Ich willigte ein. Als Erstes sprach ich mit Scott Epstein, dem Interims-Vertriebsleiter, der mir viel Glück wünschte. Er verließ das Unternehmen, nachdem er vorgeschlagen hatte, Google solle Millionen für eine Anzeigenkampagne ausgeben, eine Idee, die Larry und Sergey gar nicht gefiel. Urs Hölzle, Googles Technikleiter, begrüßte mich herzlich und riet mir, mich nicht in der Nähe von Yoshka auf den Boden zu legen und wie ein Kauspielzeug zu verhalten. Yoshka war das haarige Mammut, das hinter mir geräuschvoll Wasser aus einer Schüssel soff. 4
Omid Kordestani, der frisch eingestellte Leiter Vertrieb und Geschäftsentwicklung, verzieh mir, dass ich AOL schlechtmachte, obwohl er selbst dort gearbeitet hatte.
Anschließend brachte mich Cindy zurück in den Konferenzraum, wo ich auf Sergey warten sollte. Ich war nicht nervös. Sergey war in etwa so alt wie mein Lieblings-T-Shirt und gebürtiger Russe. Ich hatte eine Weile in Russland gelebt und
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