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Paul Bremer - 07 - Schrei nach Stille

Paul Bremer - 07 - Schrei nach Stille

Titel: Paul Bremer - 07 - Schrei nach Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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1
    Es dauerte eine Weile, bis der erste Wassertropfen beschloß, sich vom Strom der anderen zu entfernen, die das Dach Richtung Regenrinne verließen, und durch einen Spalt zwischen zwei Ziegeln zu sickern. Dort hing er eine Weile an der Lippe eines der mürben Biberschwänze und löste sich erst, als ein zweiter Tropfen auf ihn stieß. Beide fielen nicht tief und landeten weich; auf dem Fell einer Ratte, das sich von ihrem aufgedunsenen Körper abgelöst hatte und wie ein Sprungtuch auf der schlierigen Wasseroberfläche des Zubers aus grauem Zink lag. Nur manchmal, im Sommer, wenn es lange nicht geregnet hatte, war der Zuber leer. Jetzt war er fast voll.
    Den ersten Tropfen folgten weitere, erst langsam, dann immer zügiger, nun, da der Weg gebahnt war. Ihr Aufprall ließ das Rattenfell erschauern, und es begann, träge durch die Zinkwanne zu treiben. Die Wanne füllte sich, bis die Wasseroberfläche sich wölbte und ein weiterer Pionier unter den Wassertropfen den Sprung ins Unbekannte wagte, vom Rand des Zubers hinunter auf die staubigen Holzplanken des Dachbodens. Der Staub sog ihn gierig auf, auch den nächsten und übernächsten und alle weiteren, bis er gesättigt war und den Tropfen erlaubte, sich einen Weg an einen anderen Ort zu suchen. Erst sammelten sie sich in einem Astloch, dann strömten sie weiter, nach unten, an einem mächtigen Schiffskoffer vorbei, der mit geöffnetem Deckel im Weg stand und in dem es glitzerte und glänzte. Sie umschifften einen verstaubten Sessel und einen mit Schwalbenkot bekleckerten Tisch und näherten sich schließlich einer Ritze zwischen den Planken. Sie weichten den Staub zwischen den Planken auf und sickerten tiefer, durch Holzspäne und Staub, durch Lehm und Mörtel, durch von Mäusen angelegte Gänge und Nester aus Heu und Federn und Plastikfetzen, drangen hindurch, fielen wieder auf Holz, glatter diesmal und weiß lackiert. Sie folgten einer sanften Neigung, schneller jetzt, da sie auf keinen Widerstand mehr trafen. Und schon tat sich die nächste Ritze zwischen zwei Brettern auf.
    Die Tropfen hielten Ordnung. Der erste fiel ins Ungewisse. Zögernd folgte der nächste. Ihm folgten die anderen, immer schneller, wie die Lemminge, die dem Abgrund zuströmen. Sie sprangen, sie fielen, sie prallten unten auf, sie vereinten sich zu einer schillernden Pfütze und durchbrachen dann in einem entschlossenen Strom die letzte Barriere.
    Im Keller wurden sie zu einem schmalen Rinnsal und nahmen Kurs auf die nicht mehr ganz weißen Kappen eines Paars hellblauer Chucks.

2
    Tock.
    Sie fuhr hoch. Es war dunkel im Zimmer, nur auf der gegenüberliegenden Seite des Raums sah man das hellere Rechteck des Fensters durch die Gardinen schimmern.
    Tock.
    Sie schloß die Augen und versuchte das Geräusch zu orten.
    Tock.
    Für eine Schrecksekunde bildete sie sich ein, es entstehe in ihrem Kopf, dehne sich aus, dränge heraus, sprenge ihren Schädel.
     
    Tocktock.
    Schneller jetzt. Gefolgt von einer Art feuchtem Schmatzen.
    Sophie Winter ließ sich ins Kissen zurücksinken. Wassertropfen, über ihr. Über ihrem Kopf, über der hellgrau gestrichenen Holzdecke, auf dem Dachboden. Darüber das Dach. Und darüber ein atlantisches Tief.
    Der Sturm, der still gelauert zu haben schien, jagte mit einem tiefen Orgelton eine Bö vorbei, rüttelte am Fenster, fegte durch ächzende Baumkronen im Garten.
    Die Bäume, dachte sie. Sie werden aufs Dach stürzen. Die Dachziegel hinwegfegen. Ein Loch reißen in meine Höhle und die Elemente hineinlassen. Balken und Ziegel und Mörtel und Steine und Wasser.
    Über ihr trommelten die Tropfen auf die Holzdecke.
    Sophie versuchte sich dahin zu träumen, wo Stille war: Pferdeställe, Bibliotheken, Gartenhütten, der Pazifische Ozean, Heuschober. Doch heute gelang ihr das Abtauchen in das schützende innere Reich nicht, die Geräusche des Sturms übertönten alles. Nur nicht die Laute, die das Haus machte, bei jedem Windstoß.
    Du hättest nicht kommen dürfen, flüsterte es.
    Inzwischen tropfte es nicht nur über ihr, sondern auch neben ihr. Das Wasser war durch die Schlafzimmerdecke gedrungen, immer schneller klatschten die Tropfen auf den Holzfußboden neben ihrem Bett. Wenn du nichts unter das Leck stellst, stehst du morgen im Nassen, dachte sie und ging in Gedanken die Treppe hinunter, um einen Putzeimer zu holen.
    Sie hörte die Tropfen auf den Boden klopfen, schneller, immer schneller. Sie hörte ihren Atem, seltsam gepreßt. Sie hörte den Pulsschlag in ihrem

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