Google-Mitarbeiter Nr. 59
eine Ecke gequetscht. Ich wartete förmlich darauf, dass jeden Moment eine Truppe Kleinteilmonteure auftauchte, Lötpistolen und Metallstücke auf die Tische legte und anfing, Toaster, Roboterhunde oder Schließmechanismen für Sicherheitsgurte zusammenzubauen. Die Einrichtung als zweckmäßig zu beschreiben war fast schon eine Untertreibung.
Google hatte die obere Etage des zweigeschossigen Gebäudes gemietet und brauchte anfangs nur die Hälfte des zur Verfügung stehenden Platzes. Die Mitarbeiter der Technik waren alle in diesem Bereich untergebracht, weil sie das sprichwörtliche Herz des Unternehmens bildeten. Große Dinge würden daraus entstehen, sie auf engem Raum unterzubringen, sodass die Ideen umhersprangen, zusammenprallten und sich auf neue, wirkungsvollere Weise zusammenfügten.
Mein neuer Arbeitsbereich lag im »Annex«, der anderen Hälfte der Etage. Dieser Teil befand sich quasi noch im Rohbau: Über einem teppichlosen Betonboden hingen Kabel von der Decke. Der offene Bereich wurde nur durch Zementsäulen unterteilt und an der Decke hing kurioserweise eine Discokugel, die ein Vormieter hinterlassen hatte. Ein paar der Büros an der Seite waren bereits fertiggestellt worden. Eines davon würde ich mir mit Aydin Senkut teilen, einem anderen Neuen, der im Bereich Geschäftsentwicklung tätig war. Aydin lebte für sein Handy, das ohne Unterlass klingelte. Wenn er ranging, verließ er stets rücksichtvoll das Zimmer, damit er den Anrufer auf Türkisch anbrüllen konnte, ohne mich zu stören. Mein Laptop war neu und sehr schnell.
Ich wurde im Zuge einer der ersten großen Einstellungsschübe in die Firma aufgenommen. Neben mir und Aydin gab es noch viele andere neue Gesichter: Charlie Ayers, den Googlekoch; die Massagetherapeutinnen Babette Villasenor und Bonnie Dawson; Webmaster Karen White; sowie Shari Fuji, die Offline-Marketingmanagerin. Wir stießen zu den 40 in der Technik und im operativen Bereich tätigen Mitarbeitern, die bereits zum Team gehörten, und den etwa ein Dutzend Mitarbeitern im kaufmännischen Bereich, die den Rest der Belegschaft bildeten.
Es gab kein Organigramm, mit dem man sich einen ersten Überblick verschaffen konnte, und die offensichtlichen Zeichen, mit denen normalerweise die relative Bedeutung des Mitarbeiters für das Unternehmen ausgewiesen wurde, fehlten. Sogar Larry und Sergey teilten sich wie alle anderen ein Büro, wenn es auch ein bisschen größer war als die übrigen. Die Titel waren allgemein gehalten. Die Position, auf die Shari und ich uns beworben hatten, war die des »Marketing Director«, wie es auf der Google-Website bezeichnet wurde, obwohl diese Position gar nicht wirklich zu existieren schien. Bei Google waren wir alle »Manager«. Ich zuckte mit den Schultern und schluckte meinen Stolz herunter.
»Titel sind unwichtig«, erinnerte Sergey uns regelmäßig. »Wir arbeiten alle besser, wenn es eine flache Hierarchie mit wenigen Ebenen gibt. Das vereinfacht die Kommunikation und vermeidet Bürokratie.« Ich akzeptierte die Start-up-Annahme, dass Erfolg allen Booten Auftrieb gibt, und entschied, mich nicht an die traditionellen Meilensteine des Aufstiegs wie Geld oder Prestige zu klammern. Nachdem ich 20 Jahre lang immer auf die nächste Gehaltserhöhung und Beförderung hingearbeitet hatte, würde die Arbeit hier zum Selbstzweck werden. Seit dem Tag, an dem ich mein Diplom in eine Schublade gesteckt und zum ersten Mal den Stellenteil in der Zeitung aufgeschlagen hatte, hatte ich mich nicht mehr so frei und gleichzeitig beklommen gefühlt.
Die nächsten acht Stunden verbrachte ich damit, mich einzuleben, die üblichen Kugelschreiber und Notizkladden mit Millimeterpapier aus einem Metallschrank zu holen, meinen Tacker, Tesafilmhalter, die Andockstation und das Posteingangskörbchen so zu arrangieren, dass mein Tisch sehr harmonisch wirkte. Ich war bereit, jedoch nicht sicher, wofür eigentlich.
Ich machte eine persönliche Bestandsaufnahme. Zwei Jahrzehnte im Marketing hatten mich eine Menge nützlicher Dinge gelehrt, von der Konsensbildung über Abteilungen hinweg bis zu »Wie schreibe ich ein CYA Memo zur Absicherung«, wenn ich etwas außerhalb der normalen Bahnen wagen wollte. Ich betrachtete diese Erfahrung als wichtigen Schatz, begann jedoch zu ahnen, dass diese innerhalb der Mauern von Googleplex 7 anders gewertet wurde. Mich hatte das Leben eines Silicon-Valley-Start-ups gelockt, in dem es diese alten Regeln nicht gab. Jetzt war die Realisierung
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