Gottes Tochter
Gästehaus am Englischen Garten, ich mach die Betten und so… Im Kino, sie sitzt an der Kasse, das ›Rottmann‹ ist ja gleich bei ihr gegenüber, in der Rottmannstraße, kennen Sie das nicht? Gehen Sie nie ins Kino? Sie sind ja auch von der Polizei. Bitte? Weiß nicht, was das damit zu tun hat… Ja, wir waren essen, ja, zu zweit! Julika und ich, ist das verdächtig? Wir haben gegessen, was getrunken und dann wollten wir eigentlich nach Hause. Na und? Nur weil Samstag ist, müssen wir nicht versumpfen oder?… Welche anderen? Wir waren allein. Wir wollten uns unterhalten, Chili essen, Chips dazu und so… Ja, Bier haben wir auch getrunken, ist das verboten? Desperados, alles klar? Was wollen Sie eigentlich von mir? Ich hab Jule begleitet und dann bin ich mit der U-Bahn nach Hause gefahren… Ja, vorher waren wir noch woanders, im ›gap‹. Goethestraße… Ja, klar, zu Fuß, glauben Sie, wir können uns ein Taxi leisten? Wir gehen da öfter hin, wir haben da noch ein Bier getrunken, oder zwei, das wars… Gegen zwölf, genau. Wir hatten beide keine Lust mehr zu bleiben, ich war müde, und Jule war auch müde. Wir sind die besten Freundinnen… Normal, nichts Besonderes, sie streiten sich schon mal, jeder streitet sich mit seinen Eltern… Schreiben Sie nichts auf?«
»Nein«, sagte Süden.
»Warum nicht?«
»Bis jetzt kann ich mir alles merken.«
»Wozu haben Sie dann den Block in der Hand?«
Sie waren zweimal im Kreis gegangen, vorbei an Fenstern, hinter denen Licht brannte und niemand zu sehen war.
»Haben Sie Angst um Ihre beste Freundin?«, fragte Weber.
»Klar«, sagte Miriam.
»Sie hat Wäsche zum Wechseln mitgenommen«, sagte er. »Das deutet darauf hin, sie will länger wegbleiben. Wo könnte sie sein?«
»Das weiß ich nicht!«
»Sie wissen es nicht«, sagte Süden.
»Nein! Ich hab gesagt, was Sie hören wollten, ich muss in Mathe zurück, sonst fall ich nämlich durch und das möcht ich nicht. Wiedersehen!«
Sie ließ die Männer stehen und ging mit raschen Schritten davon, die Hände in den Jackentaschen.
»Auch wenn sie weiß, wo ihre Freundin ist«, sagte Weber. »Sie muss es uns nicht sagen, und wir haben kein Recht, sie unter Druck zu setzen.«
»Ja«, sagte Süden.
Sie hatten kein Recht dazu. Was sie hatten, war ein Routinefall, eine von eintausendfünfhundert Vermissungen, die sie jedes Jahr bearbeiteten, die meisten davon betrafen Jugendliche, vor allem Mädchen, und fast alle kehrten nach wenigen Wochen, meist kurz vor Schulbeginn, unversehrt zurück. Die Streuner unter ihnen, die Dauerläufer, machten sich bald wieder auf den Weg, nach Berlin, dem beliebtesten Ziel aller Ausreißer, ließen nichts von sich hören, versetzten ihre Eltern in Panik und…
»Kauf dir doch endlich ein Handy!«
… es blieb den Polizisten nichts zu tun, außer das, was sie in solchen Fällen immer taten: Faxe und Fotos und E- Mails verschicken, den Eltern die Hilfe eines Psychologen anbieten, die Streetworker befragen und die Sozialarbeiter in den Sleep-Ins und Kindernotdiensten und…
»Oder leih dir eines von der Bereitschaft!«
… sofern es sich nicht um ein Kind handelte, für dessen plötzliches Verschwinden es nicht die geringste Erklärung gab, abwarten, abwarten, abwarten.
»Die Tochter hat angerufen«, sagte Karl Funkel. »Und der Vater hat mich wieder angerufen. Ich habe es in der Schule versucht, aber ihr wart schon weg, sagte mir eine Frau O…«
»Ork«, sagte Süden.
»Wo ist das Mädchen?«, fragte Weber.
»Das hat sie nicht verraten, sie wollte bloß mitteilen, dass es ihr gut geht und dass sie nicht zurückkommt, und zwar nie mehr. Das war alles.«
»Sind Sonja und Freya noch bei den Eltern?«, fragte Süden.
»Sie waren noch nicht dort, wir haben eine abgängige Siebenjährige und einen Neunjährigen, die seit heute Morgen spurlos verschwunden sind, sie gehen beide in dieselbe Schule, in Neuperlach, und sie sind beide nicht dort angekommen. Sie wohnen im selben Block, sie kennen sich, sie sind befreundet. Volker ist mit fünf Kollegen vor Ort, natürlich auch Sonja und Freya. Und es wäre mir wichtig, einer von euch fährt auch hin. Es gibt Hinweise auf ein Auto und einen Unbekannten, der angeblich mit den Kindern gesprochen hat, womöglich schon mehrmals. Beide Eltern leben getrennt, beide Kinder bei ihren Müttern, den Vater des Jungen haben wir noch nicht erreicht. Reporter sind auch schon draußen.«
»Ich fahre«, sagte Weber.
»Super-GAU«, sagte Funkel. Super-GAU
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