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Gottes Tochter

Gottes Tochter

Titel: Gottes Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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verbracht hatte -, so hauste er doch in seiner Einsamkeit wie in einer Burg, deren Zugbrücke er nur noch selten herunterließ, manchmal für Tabor Süden, von dem er wusste, dass er eine Ahnung von Männern in Verliesen hatte.
    »Ich war gestern auch am Grab«, sagte Weber. »Alles aufgeweicht, im Frühjahr muss ich den Stein putzen lassen, das kann man doch machen lassen, oder nicht?«
    »Sicher«, sagte Süden. Er war mit Sonja auf dem Waldfriedhof gewesen, dort lag Martin Heuer neben der Kolonialwarenhändlerswitwe Krescenzia unter einer Fichte, sein bester Freund, der ihm Briefe geschrieben und nicht abgeschickt hatte, während er, Süden, sich nach dem tragischen Ende einer Suchaktion in einem Wald verkrochen hatte.
    »Wo ist die Tür?«
    Zuerst suchten sie an der Fensterfront im Erdgeschoss, dann bemerkten sie Kinder, die an einem Kickerkasten spielten. Sie gingen um das Gebäude herum, die Stufen zum gepflasterten Vorplatz hinauf und auf eine Glastür zu, auf der ein Schild klebte, das sie anwies, sich als Unbefugte »sofort« in Zimmer 144 zu melden.
    »Polizei?«, sagte die Sekretärin. »Um Gottes willen!«
    »Julika de Vries wurde als vermisst gemeldet«, sagte Weber.
    »Um Gottes willen!«
    »Wir möchten mit ihrer Freundin Miriam Hofer sprechen.«
    »Ja…« Die Sekretärin, eine Frau um die fünfzig, die ein blaues Tuch um die Schultern trug, rollte mit dem Drehstuhl zurück und warf einen Blick in ein aufgeschlagenes Buch. »Mathematik«, sagte sie und stand auf.
    »Können wir uns allein auf dem Flur unterhalten?«, fragte Süden das Mädchen im Klassenzimmer. Die Schüler hatten seltsame Laute von sich gegeben, als er sich als Kriminalpolizist vorstellte, einige hatten gegrinst, andere keine Miene verzogen.
    Der Lehrer, den die Sekretärin – »Ich bin Frau Ork« – als »Herrn Drechsler« angekündigt und der sich dann sofort so vorgestellt hatte, legte, nachdem er Süden und Paul Weber die Hand gegeben hatte, die Kreide aufs Pult und zog die Schultern hoch. Was er damit ausdrücken wollte, war Süden nicht klar, er fand aber, dass ein Mann Mitte fünfzig mit einem goldenen Knopf im Ohr, der ein Sweatshirt mit dem Aufdruck »Hardrock Café«, schwarze Jeans mit einem nietenbeschlagenen Gürtel und weiße Nikeschuhe anhatte, ein Recht auf Wrongbeats in der Motorik hatte.
    »Möchtest du, dass ich mitkomm?«, fragte Herr Drechsler.
    »Nein, danke«, sagte Miriam.
    »Geht das okay, Frau Ork?«, fragte Herr Drechsler. »Ist das mit Dr. Lenhard gegengecheckt?«
    »Dr. Lenhard ist gerade außer Haus«, sagte Frau Ork.
    »Er hat einen Termin beim Zahnarzt.«
    Natürlich ging ein Raunen durch die Klasse, augenblicklich inszenierten die Profis das Stück »Wurzelziehen bei Dr. Lenhard«, indem sie sich gegenseitig in den Mund griffen. Auf dem Flur lehnte sich Süden an die Wand, legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen.
    »Ist ihm schlecht?«, fragte Miriam.
    »Er konzentriert sich«, sagte Weber.
    »Macht es Ihnen was aus, im Freien mit uns zu sprechen?«, fragte Süden mit geschlossenen Augen.
    Im Innenhof zwischen Neu und Altbau nahm Süden seinen kleinen karierten Spiralblock und einen Kugelschreiber aus der Hemdtasche.
    »Wissen Sie, wo Julika steckt?«, fragte er. Bevor Miriam antwortete, lächelte sie. »Nein.«
    Süden schwieg. Auch Weber schwieg.
    »Nein«, wiederholte Miriam und trat von einem Bein aufs andere.
    »Ist Ihnen kalt?«, fragte Süden.
    »Ja!«, sagte sie.
    »Erzählen Sie uns, was Sie am Samstagabend mit Julika unternommen haben«, sagte Süden. »Waren Sie zu zweit, oder war noch jemand dabei?«
    »Wie dabei?«
    »Sie wissen also nicht, wo Julika hingefahren ist?«, sagte Weber.
    »Nein, sag ich doch!« Miriam gab sich Mühe, den beiden Männern in die Augen zu sehen.
    »Vielleicht ist sie gar nicht gefahren«, sagte Süden.
    »Was?«, sagte Miriam.
    »Vielleicht ist sie geflogen, mit dem Flugzeug.« Miriam erwiderte nichts.
    »Was ist am Samstagabend passiert?«, fragte Süden.
    »Wollen wir ein paar Schritte gehen?«, fragte Weber.
    »Einmal im Kreis?«
    Miriam wirkte, als sei ihr jetzt schon schwindlig.
    »Wir waren im ›Enchilada‹ essen… Das wissen Sie? Woher? Verstehe, wir waren essen, ja, wir gehen da öfter hin, natürlich nur, wenn wir das Geld übrig haben, meine Eltern zahlen das nicht, Julikas Eltern auch nicht. Wir jobben, ich im Hotel… Das ist unterschiedlich, ich war schon im ›Vierjahreszeiten‹ und im ›Hilton‹, zurzeit bin ich in einem

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