Gottes Zorn (German Edition)
seinen tauben Armen wieder zu zirkulieren begann. Das Stechen legte sich langsam. Aber die Luft war noch immer schneidend, und er hatte Atemnot. Er knipste die Nachttischlampe an und blinzelte mit verklebten Augen.
Ein Kloß im Hals erschwerte ihm das Schlucken. Seine Kehle brannte und war offenbar entzündet. Seine Nase schmerzte und war geschwollen. Er griff nach der Toilettenpapierrolle auf dem Nachttisch, riss sich ein paar Blätter ab und schnäuzte sie voll.
Widerwillig schob er die Bettdecke zur Seite und stellte die Füße auf den kalten Fußboden. Als er die Jalousie hochzog, strömte ein undefinierbares graues Licht durchs Fenster hinein. Es war unmöglich auszumachen, wie spät es war. Der Wind hatte zugenommen. Der Schnee fegte übers Land. Die Bäume ächzten, und vom Hof her hörte er die Tür zum Holzschuppen wie immer auf- und zuschlagen.
Er hatte bereits am Vorabend gespürt, dass sich der Sturm ankündigte, als er mit seinem Saxophon auf den Hügel geklettert war. Über eine Stunde hatte er dort in der Dunkelheit gestanden und mit einem Gefühl geblasen, als würden ihm alle Götter zuhören. Gillespie, Charlie Parker und Clemons. Verdammt, wie hingebungsvoll hatte er gespielt. Er hatte wie verrückt geblasen. Kein Wunder, dass ihm heute die Lippen weh taten.
Joel musste innerlich lächeln.
In seinen blau gestreiften Morgenmantel gehüllt, den er von Johanna zum ersten Weihnachtsfest im Reihenhaus geschenkt bekommen hatte, schob er etwas mehr Holz in den Kachelofen und zündete es an. Dann stellte er sich unter die Dusche und ließ seinen Körper mit heißem Wasser berieseln. Während er sich einseifte, überkam ihn erneut dieses Gefühl der Einsamkeit und die Sehnsucht danach, nicht länger so verdammt allein zu sein. Er musste an Siw Wollgren denken, die ihm gesagt hatte, dass sie rote Rosen liebte, und er dachte an Fatima. Vielleicht sollte er einfach einen Versuch wagen.
Als er sich den Dreitagebart abrasiert und sich ein weiteres Mal abgeduscht hatte, trocknete er sich gründlich ab. Aus dem Badezimmer drang warmer Wasserdampf. Joel betrachtete seinen Körper im Flurspiegel. Etwas zu mager, dachte er. Er wog sein Glied und den Hodensack in der Hand, spannte einen Bizeps an, drehte sich halb herum und kniff die Pobacken zusammen. Ich muss ernsthaft anfangen Sport zu machen. Er fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. Und vielleicht mal zum Friseur gehen. Während sein Hals noch immer schmerzte, war zumindest seine Nase nach dem Duschen nicht mehr so stark verstopft. Als er eine Gänsehaut bekam, zog er rasch eine Hose, einen dicken Pulli und Wollsocken an.
Der schwarze Kaffee brannte angenehm in seiner Kehle. Erst als er zwei Becher getrunken hatte, stellte er fest, dass die Küchenuhr bereits halb zwölf anzeigte.
Heute sollte er sich doch mit Helga treffen!
Joels erster Impuls bestand darin, ihr abzusagen und es mit seiner Erkältung zu begründen. Wie froh wäre er, bei dem Sturm nicht rauszumüssen. Der Gedanke an das heruntergekommene verblichene Eternithaus, in dem er seine gesamte Kindheit verbracht hatte, erfüllte ihn lediglich mit Abscheu. Die Aussicht darauf, in Mårtens Habseligkeiten herumwühlen zu müssen, bereitete ihm Bauchschmerzen. Vielleicht sollte man lieber eine Entrümpelungsfirma beauftragen, die das Haus leerte.
Doch dann fielen ihm Eriks Worte ein. Helga lag es sehr am Herzen. Joel seufzte. Also galt es, das Ganze möglichst schnell hinter sich zu bringen.
Vor kurzem hatte ein Polizist bei ihm angerufen und ihn darüber in Kenntnis gesetzt, dass die Untersuchung des Tatorts abgeschlossen und die Absperrung aufgehoben sei. Der Schlüssel zu Mårtens Haus würde an einem Haken in der Werkstatt neben der Tür hängen. Joel schaute durchs Fenster hinaus. Sturmwinde peitschten übers Land. Blieb nur zu hoffen, dass die Straßen nicht wieder zugeweht waren.
Sein Schaffellmantel hing an einem Bügel im Flur. Zum ersten Mal fiel Joel auf, wie schmutzig er war. Nach seinem nächtlichen Konzert auf dem Hügel hinterm Holzschuppen war er noch immer feucht. Die Wolle roch säuerlich. Joel zögerte. Aber er wärmte zumindest, dachte er und warf sich das Ungetüm über.
Draußen vor der Tür sah er, dass eine dicke Schneedecke auf dem Skoda lastete. Joel wischte notdürftig die Windschutzscheibe frei. Der Motor hustete mehrmals, startete aber dennoch, sodass er zur Landstraße hinunterschlittern konnte. Ein Räumfahrzeug donnerte an ihm vorbei. Der Räumdienst war also in
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