Gottes Zorn (German Edition)
ls er wieder allein war, streckte er sich der Länge nach auf dem Sofa aus und versuchte sich an den letzten Abend mit Britt zu erinnern.
Damals war es ebenfalls dunkel und kalt gewesen.
Es war Joels letzter Abend in dem verdammten Haus draußen in der Einöde.
«Holgerssons kleine Fotze», hatte Mårten sie genannt. Er hatte von seinem Platz vor dem Kamin aus gelallt und höhnisch gegrinst.
Zu seinen Kumpels hinübergeschielt, um Bestätigung zu erheischen.
Joel hörte noch immer ihr lüsternes Feixen.
Auf dem Tisch standen diverse leere Schnapsflaschen. Dort lagen auch Zigarettenkippen und jede Menge leere Dosen herum. Es roch nach saurem Schweiß und Erbrochenem. Die Staffelei lag umgekippt in einer Ecke. Das Akkordeon auf dem Teppich. Der Gestank nach Rauch stach ihm in die Nase.
«Und, hast du Holgerssons kleine Fotze schon mal bestiegen, Joel? Hä? Hast du?»
Mårtens Stimme war schrill und aufdringlich. Joel tat so, als hörte er nichts. Er streifte sich die Stiefel im Flur ab und hängte seine Jacke an einen Haken. Er hatte ihren Geruch noch immer in der Nase. Nach warmer Haut und irgendetwas Säuerlichem. Er wollte ihn mit keinem teilen müssen, und schon gar nicht mit Mårten. Er schwieg und versuchte die Ohren vor dem Gegröle zu verschließen. Doch als er bereits halbwegs die Treppe hinauf war, fiel ihm auf, dass er dort unten etwas gesehen hatte. Er drehte sich um.
Das Foto lag auf dem Tisch, zur Hälfte verdeckt von einem ausgebreiteten Kartenspiel. Joels einziges Foto von ihr, beschmiert und völlig feucht.
Er schloss die Augen und ballte die Fäuste.
Es war das Schwarzweißfoto von seiner Mutter, das er zwischen alten Comicheften in einem Schuhkarton unter dem Bett versteckt hatte.
Elna lacht auf dem Bild. Wie sie es fast nie getan hat, bevor sie verschwand. Das Foto musste vor langer Zeit aufgenommen worden sein, bestimmt vor Joels Geburt. Doch so möchte er sie in Erinnerung behalten. Sie ist jung. Als der Fotograf das Bild macht, steht sie auf einer Leiter, die an einer Hauswand lehnt. Sie scheint gerade den Kopf gedreht zu haben und schaut lachend zu ihm hinunter, doch ihre Augen liegen im Schatten. Der Wind hat ihre blonden Locken erfasst.
Joel holte oft den Schuhkarton hervor, wenn er sich in seinem Zimmer eingeschlossen hatte. Sich im Bett verkriechend, kam es vor, dass er diverse zerlesene Fantomas- und Busterhefte herausnahm und vorsichtig die Fotografie zwischen den Seiten hervorzog. Dann drehte und wendete er das Papier, um sie aus verschiedenen Winkeln zu betrachten. Ihre Gedanken zu lesen. Und sich vorzustellen, dass er es war, der dort mit der Kamera in der Hand stand.
Obwohl er wusste, dass es unmöglich war.
Hatte er vergessen, das Foto wieder zu verstecken, bevor er zu Britt fuhr?
Joel öffnete die Augen wieder und ging die Treppe hinunter. Die Prahlerei vor dem Kaminfeuer hatte aufgehört. Mårten warf ihm unruhige Blicke zu. Ein Räuspern war zu hören. Jemand zerdrückte eine Bierdose mit der Hand. Der Jugo auf dem Stuhl vorm Fenster zog leicht zerstreut am Akkorden, das er im Arm hielt.
Ohne ein Wort nahm Joel das Foto vom Tisch.
«Verdammt, Joel. Ich wollte es nur Dragan und den anderen Jungs zeigen. Sie war so wunderschön.»
Die anderen grinsten. Doch Mårtens Augen waren rot gerändert, voller Reue. Seine strähnigen Haare fettig. Für einen kurzen Augenblick sah Joel die Angst in seinem Blick.
Die Angst vorm Alleinsein.
Er wischte das Foto an seinem Pulli ab. Schaute seinen Vater an. Und zum allerersten Mal hatte er nicht mehr die geringste Angst vor ihm. Er war lediglich von einem einzigen Gedanken erfüllt: Ich will nie wieder irgendetwas mit dir zu tun haben.
Es dauerte nur wenige Minuten, bis er in seinem Zimmer die Dinge in eine Sporttasche gepackt hatte, die er mitnehmen wollte. Er ging zur Tür hinaus, ohne eine Ahnung davon zu haben, wohin er unterwegs war. Er wollte einfach nur weg.
Als er durch den Schnee zur Landstraße hinunterstapfte, hörte er Mårten von der Verandatreppe aus rufen.
«Joel! Komm zurück …»
Kapitel 6
W enn es doch nur schneien würde, hatte sich Fatima als Kind oft gewünscht.
Der reine weiße Schnee, der leise vom Himmel fiel und sich wie eine weiche Decke über die Zedern an den Berghängen legte, vermittelte ihr Sicherheit. Der Schnee, der alle lauten Geräusche dämpfte und so angenehm auf der Zunge kitzelte, wenn man den Kopf in den Nacken legte und den Mund öffnete.
Als kleines Mädchen liebte Fatima es,
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