Gottes Zorn (German Edition)
griesgrämigen Gesicht. Er wirkte so unendlich weit entfernt. Sein Licht fiel als grauer Schimmer auf die Topfpflanzen auf ihrer Fensterbank. Die Tulpen, die sie neulich auf dem Markt gekauft hatte, wirkten blutleer, als hätten sie jegliche Farbe verloren.
Plötzlich kam der Strom mit einem Knacken zurück. Fatima fuhr zusammen, als hätte jemand ohne Vorwarnung einen Scheinwerfer direkt auf ihr Gesicht gerichtet. Sie blinzelte benommen. Mit einem Mal kam sie sich vor, als stünde sie nackt und schutzlos auf einer Bühne, die im Licht badete.
Alle können mich sehen!, dachte sie erschrocken.
***
A ls Fatima ins Bett gekrochen war und das Licht gelöscht hatte, waren es weder die Erinnerungen an den Film noch der Mann im Mond, die sie plagten, sondern der Tote, der mit einer Wäscheleine um den Hals an einem Haken von der Decke herabhing.
Es war sein Schatten, den sie in der Dunkelheit erahnte. Sein aufgedunsenes Gesicht, das zu einem höhnischen Grinsen erstarrt war.
Blitzschnell streckte sie die Hand nach der Nachttischlampe aus und knipste das Licht an. Ihre Müdigkeit war wie weggeblasen. Sie zögerte einen Moment, ehe sie ihre Füße auf den kalten Boden setzte, und streifte sich einen Wollpulli übers Nachthemd. Sie könnte ebenso gut Kaffee aufsetzen und so die Dämonen verjagen.
Während das Wasser im Wasserkocher zu brodeln begann, musste sie an den Mann denken, den sie im Haus des Toten angetroffen hatten. Seinen Sohn. Er hatte auf sie gewirkt, als wäre er völlig von Sinnen. Kein Wunder, wenn man erst seinen Vater erhängt auffindet und dann von Polizisten mit gezogenen Waffen überrascht wird. Betrunken war er ebenfalls gewesen, zumindest verkatert.
Aber etwas hatte sie dennoch erstaunt. Joel Lindgren hatte angesichts der Tatsache, dass sein Vater tot war, nicht gerade traurig gewirkt.
Ob man ihm glauben konnte?
Sie erinnerte sich, wie ihm das zerzauste blonde Haar nach allen Seiten abgestanden hatte. Mit seinen klaren grünblauen Augen unter der hässlichen Platzwunde auf der Stirn hatte er sie völlig hilflos angeschaut.
«Das da … das ist mein Vater.»
Als wäre er sich selbst nicht ganz sicher.
Die Leiche war zwar ziemlich entstellt, aber irgendwelche äußeren Anzeichen einer Blutsverwandtschaft hatte Fatima nicht erkennen können.
Als die arabischen Schriftzeichen an der Wand von den durchs Fenster scheinenden Sonnenstrahlen erleuchtet wurden und sie ihm erklärte, dass jemand Gottes Zorn heraufbeschworen hatte, hatte sie in seinen schönen Augen Angst aufblitzen sehen.
Ghadab Allah.
Egal, dachte sie. Der Mord geht mich nichts mehr an. Darum muss sich die Säpo kümmern. Ich habe anderes zu tun. Ab morgen muss ich mich wieder dieser verdammten Einbruchsserie widmen.
Sie goss sich einen Becher Kaffee ein. Genoss es, wie das Koffein ihre Sinne schärfte. Fatima hatte es schon immer gehasst, schwach zu sein. Gehasst, Angst zu haben.
Auf der anderen Straßenseite brannte jetzt in einem Fenster Licht. Durch eine kaputte Jalousie hindurch konnte sie einen alten Mann im Rollstuhl sehen. Er saß absolut still mitten im Raum, aber er schien nicht zu schlafen, denn er hatte den Nacken gestreckt und den Blick erhoben. Es schien eher, als betrachtete er ein Bild an der Wand. Fatima versuchte sich vorzustellen, was darauf zu sehen war, konnte jedoch nichts erkennen.
Vielleicht wartete er ja auch auf jemanden.
Einen Verwandten? Den Pflegedienst? Nein, wohl kaum mitten in der Nacht. Etwa auf den Tod?
Kurz darauf war Fatima in Gedanken wieder in dem grauen Eternithaus. Es ließ sie einfach nicht los. Vor ihrem inneren Auge sah sie den weißen unberührten Schnee auf den Äckern, als sie am Morgen dort ankamen.
Der Mörder muss zu Fuß gekommen sein, dachte sie. Es gibt keine andere Möglichkeit. Ohne das Räumfahrzeug hätten Benny und ich es nie geschafft. Derjenige, der Mårten Lindgren ermordet hatte, war während des Unwetters durch den Schnee zum Haus gestapft, genau wie es sein Sohn Joel behauptete, mitten in der Nacht getan zu haben. Allerdings hatte man keinerlei Fußspuren gefunden.
Der Schnee schützt denjenigen, der es getan hat, dachte Fatima. Wer auch immer es gewesen sein mochte.
Sie versuchte sich die geduckte Gestalt vorzustellen, die sich durch den Sturm und die Schneewehen gekämpft hatte. Vielleicht waren es auch mehrere gewesen.
Eine oder mehrere Personen, die der Meinung waren, dass der Künstler Mårten Lindgren sein Leben verwirkt hätte, als er den Propheten in
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