Gottes Zorn (German Edition)
Gestalt eines Schweins abbildete. Ein Schwein, das unreinste aller Tiere. Sie schüttelte in Gedanken den Kopf. Wie konnte man nur dermaßen gekränkt auf ein simples Bild reagieren, dass man bereit war, dafür jemanden umzubringen?
«Ghadab Allah», murmelte sie erneut.
Die Schriftzeichen waren mit roter Farbe an die Wand gepinselt worden und verlaufen. Es sah aus, als seien sie mit Blut geschrieben.
Ich müsste es doch eigentlich wissen, dachte Fatima. So oft, wie Papa mir erzählt hat, dass wir aus diesem Grund geflohen waren. Vor dem Krieg und dem religiösen Irrsinn.
Wie immer, wenn sie an ihren Vater dachte, überkam sie ein schlechtes Gewissen. Der Gedächtnisschwund hatte vor ein paar Jahren überraschend eingesetzt und sich wie ein dichter Nebelschleier um sein Gehirn gelegt. Inzwischen erkannte er sie manchmal kaum noch.
Warum konnte er nicht rasch und schmerzfrei sterben? Oder zumindest so wie Mama an einer anderen Krankheit, die nicht gerade das zerstörte, worauf er am meisten stolz war: seine Vernunft, die Fähigkeit zu denken. Ich muss ihn morgen unbedingt besuchen, dachte Fatima.
Als Lehrer war er sehr darauf bedacht gewesen, dass sie die neue Sprache lernte, die alte aber nicht vergaß, als sie nach Schweden kamen. «Du wirst studieren, Fatima. Wissen, das ist das Einzige, das Eindruck auf diejenigen macht, die meinen, bereits alle Antworten zu kennen.» Während er im Libanon manchmal in die Moschee gegangen war, hatte er es im neuen Land nur selten getan.
Fatima stellte den Kaffeebecher auf den Schreibtisch und schaltete den Laptop ein. Tippte dann planlos die Worte ein, die an der Wand gestanden hatten:
Ghadab Allah
.
Gottes Zorn
.
Sie erhielt mehrere tausend Treffer. Sie klickte einige Links an und überflog die Texte. Die meisten schienen im Zusammenhang mit der Bibel zu stehen. Einige wenige mit dem Koran. Doch keiner wies eine Verbindung zu dem erhängten Künstler im Haus draußen auf dem Land bei Tomelilla auf. Bill Lundström und seinen Kollegen war es offenbar gelungen, die Botschaft vor der Presse geheim zu halten.
Als sie im Anschluss
Mårten Lindgren
googelte, erhielt sie sogar mehrere hunderttausend Treffer. Sie überflog zuerst einige Artikel über den Mord in den schwedischen Medien, dann in den englischen und amerikanischen. Im Großen und Ganzen berichteten sie alle dasselbe. Auch wenn die Polizei ihre Vorbehalte hatte, gingen alle davon aus, dass es sich um einen terroristischen Anschlag handelte. Höchstwahrscheinlich ausgeführt von oder zumindest inspiriert durch Al-Qaida. In Hintergrundartikeln wurde behauptet, dass Schweden eine Heimat für militante Islamisten geworden sei. In Infoboxen erfuhr man von zurückliegenden Vorfällen: von dem Selbstmordattentäter, der sich mitten im Weihnachtstrubel in Stockholm in die Luft gesprengt hatte, der Brandstiftung bei dem Künstler in Höganäs und dem Attentatsversuch auf
Jyllands-Posten
in Dänemark.
In den Blogs und Chats tobte die Debatte.
Fatima las Kommentare von Rassisten und Muslimhassern, die Blut witterten.
Raus mit dem Pack!
Sie erschauderte und fühlte sich angegriffen.
Viele Muslime nahmen in ihren Beiträgen Abstand von dem Mord. Einige äußerten, dass sie die Wut über die Kränkung des Propheten nachvollziehen könnten. Andere wiederum hielten dagegen, dass sie nicht die Verantwortung dafür übernehmen wollten, dass ein Fanatiker ein wahnsinniges Verbrechen im Namen der Religion begangen hatte.
Als Fatimas Augen vor Müdigkeit zu jucken begannen, stand sie auf und holte sich noch einen Becher Kaffee. Die Uhr in der Küche zeigte Viertel nach zwei an. Eigentlich müsste ich mich wieder hinlegen, dachte sie und warf einen Blick aus dem Fenster. Auf der anderen Straßenseite saß der Mann im Rollstuhl noch immer da und starrte auf sein Bild.
Aus reiner Neugier tippte sie diverse Wörter auf Arabisch ein. Als sie sich durch die Treffer klickte, stieß sie bald auf ganz andere Fotos. Lodernde Feuer. Grüne Fahnen, die im Wind flatterten. Maskierte Männer mit Maschinengewehren, die vor einem Sonnenuntergang posierten. Und schließlich die Märtyrer, die jungen Männer mit weit aufgerissenen Augen, die ihr Leben bereits dem Dschihad geopfert hatten.
Sie las Kommentare, die aus aller Welt zu kommen schienen. Aus Berlin, Vancouver, Amman und Paris. Als Fatima einen weiteren Beitrag aus Malmö erblickte, versetzte es ihr einen Stich.
In Allahs Namen, wir danken unseren Brüdern, die das Leben des Ketzers
Weitere Kostenlose Bücher