Gottes Zorn (German Edition)
Tankkarte, eine Kreditkarte und einen Führerschein. Er betrachtete das Foto. Mårten lächelte. Sein Blick wirkte klar und gutmütig. Seine strähnigen Haare wellten sich leicht glänzend hinter den Ohren. Der Führerschein war vor fünf Jahren ausgestellt worden.
Hinter der Schale lag halb verdeckt ein zerknitterter Taschenkalender. Warum hatte er einen so alten Jahrgang aufgehoben? Joel blätterte vorsichtig darin. Hier und dort hatte Mårten ein paar Wörter hineingekritzelt, aber nicht viele. Auf den letzten Seiten fand sich ein Wirrwarr aus Namen und Telefonnummern. Sie waren kreuz und quer und in unterschiedlichen Farben geschrieben, und wahrscheinlich auch zu unterschiedlichen Zeitpunkten. Manche waren hektisch durchgestrichen worden. Joel betrachtete sie näher.
Torsten
war mit schwarzer Tinte hingekritzelt wie auch
Dragan
und
Goran
etwas weiter unten auf derselben Seite.
Siw
war mit rotem Filzstift geschrieben.
Die Namen und Telefonnummern von
Roger Holgersson
und irgendeinem
Wetterström
waren wieder in Schwarz.
Um den Namen
Helga
hatte Mårten ein kleines rotes Herz gezeichnet.
Merkwürdig, dachte Joel. Das war gar nicht seine Art.
Etwas abseits in einer Ecke stand
Månzon in Simrishamn
.
Ganz unten auf einer anderen Seite fand Joel seinen eigenen Namen eingeklemmt zwischen zwei Personen, die
Nisse P
und
Claesson
hießen.
Er schüttelte verwundert den Kopf. Offenbar hatte Mårten nicht gelernt, Telefonnummern im Handy zu speichern.
Als sich der Nebel in seinem Brummschädel weitgehend gelichtet hatte und er in der Lage war, darüber nachzudenken, was er als Nächstes tun sollte, hörte er draußen ein Motorengeräusch. Ein dumpfes Brummen, das durch den Schnee gedämpft wurde.
Das Räumfahrzeug hatte sich bereits ein gutes Stück die Weidenallee hinaufgekämpft. Neben dem Fahrzeug bäumte sich ein Wall aus Schnee auf. Auf seinem Dach rotierte eine orangefarbene Lampe. Ein Stück dahinter näherte sich ein Pkw im Schritttempo. Er hielt an, als das Räumfahrzeug stehen bleiben und erneut Anlauf nehmen musste, um einen hohen Schneewall zu bewältigen. Dann rollte das Auto auf dem geräumten Straßenabschnitt langsam weiter. Als es näher kam, sah Joel, dass es ein Polizeiwagen war.
Er steckte den Kalender in seine Hosentasche.
Durchs Fenster beobachtete er, wie sich das Räumfahrzeug durch die letzten Schneewehen kämpfte und dann mühsam wendete. Der Fahrer steckte den Kopf aus dem Fenster des Führerhauses und rief dem Mann und der Frau etwas zu, die gerade aus dem Polizeiwagen gestiegen waren. Sie winkten, woraufhin das Räumfahrzeug mit dröhnendem Motor zurück in Richtung Landstraße brauste.
Die beiden Polizisten warfen einen Blick auf den eingeschneiten Cherokee und nahmen dann das Haus in Augenschein. Joel wich hinter dem Fenster instinktiv zurück. Draußen aus dem Garten hörte er ein leises Gemurmel. Dann sah er, wie der uniformierte Polizist die Ohrenklappen seiner Wintermütze herunterklappte und auf das Fenster zustapfte. Ein rotes aufgedunsenes Gesicht presste sich gegen die Scheibe. Seine Augen flackerten in einer Wolke feuchten Atems. Joel hielt die Luft an und stand vollkommen still, in der Hoffnung, sich so unsichtbar machen zu können. Langsam begann ihm zu dämmern, dass seine Situation möglicherweise nur schwer zu erklären war. Ein Fluchen, und dann war das Gesicht verschwunden. Kurz darauf klopfte es an der Tür.
Joel zögerte einen Augenblick zu lange.
Noch bevor er reagieren konnte, standen sie im Flur und starrten ihn und den Toten an, der an der Wäscheleine von der Decke herunterhing.
«Mein Gott!», rief der Polizist aus, der kurz zuvor durchs Fenster gelugt hatte.
Seine Kollegin zog blitzschnell eine Pistole unter ihrer Lederjacke hervor und richtete die Mündung auf Joel.
«Rühren Sie sich nicht vom Fleck!»
Sie fixierte ihn mit einem stechenden Blick aus schwarzen Augen. Ihr Gesicht unter der Mütze war blass, die Kiefermuskeln angespannt mit fest zusammengebissenen Zähnen. Sie umfasste den Pistolengriff mit rot gefrorenen Fingern.
Unsicher nahm Joel die Hände hoch und folgte ihrem Blick, der inzwischen das Zimmer absuchte. Die Schrotflinte lag noch immer zusammen mit dem schäbigen Mantel neben dem Kamin auf dem Boden. Die Axt hatte er auf dem Fenstersims abgelegt. Und Mårten grinste spöttisch von der Decke herab.
Klar, dass sie Angst hat, dachte Joel.
«Ich kann das erklären …», begann er.
«Sieh nach, ob er noch lebt, Benny!», befahl
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