Gottes Zorn (German Edition)
kleiner elektrischer Heizlüfter, damit wir nicht so furchtbar frieren müssen.»
Die anderen Chormitglieder waren nach und nach gegangen. Die meisten von ihnen hatten einen verstohlenen Blick auf Joel geworfen, als sie an ihm vorbeigingen, und einige wenige hatten ihm murmelnd ihr Beileid bekundet. Nur Erik war noch da. Er legte beschützend einen Arm um seine Mutter.
«Möchtest du, dass ich dabei bin, Mama?»
Helga lächelte und tätschelte ihm die Hand. «Ich komme schon alleine klar, Erik. Aber es ist nett, dass du fragst.»
«Also dann. Mach’s gut, und du auch, Joel. Es war nett letztens in der Pizzeria. Wir hören voneinander.»
«Wie lief’s denn mit den Barschen?»
Erik zwinkerte ihm vielsagend zu, klopfte ihm kameradschaftlich mit der Hand auf den Rücken und ging auf die Tür zu. Die beiden Frauen schauten ihm nach.
«Man könnte meinen, er hätte eine Bass- oder Baritonstimme», sagte Helga nachdenklich. «Angesichts seiner Größe, meine ich. Aber er hat eine ganz wunderbare Tenorstimme.»
***
I n der Sakristei war es trotz des Heizlüfters nur unbedeutend wärmer als in der Kirche. An der Wand hingen ein Kruzifix und ein Plakat mit mehreren schwarzen Kindern neben einem Bischof in Afrika. Der Pulverkaffee war zumindest heiß. Joel wärmte sich die Hände am Becher.
Nachdem sie sich eine Weile über den Ablauf und die Lieder unterhalten hatten, gelangte er immer stärker zu der Überzeugung, dass alles bereits entschieden war. Helga hatte genaue Vorstellungen, wie die Feier vonstattengehen sollte, und er nahm es ihr auch nicht übel. Wenn sie ihn zu «Schönster Herr Jesu» begraben wollte, hatte er nicht vor, ihr einen Titel von Charlie Parker oder eine feurige Zigeunerpolka vorzuschlagen, die einzige Musik, von der Joel wusste, dass Mårten sie geliebt hatte. Für Joel war es selbstverständlich, dass sie gebührend um Mårten trauerte. Es war ihr gutes Recht zu trauern. Er selbst hingegen versuchte lediglich seine Pflicht zu erledigen, wie er sich einredete.
«Der Leichenschmaus hinterher kann ja im Gemeindehaus stattfinden», schlug Helga vor. «Nur im engsten Kreis. Vielleicht mit der Familie und dem Chor. Dort gibt es dann Schnittchen und danach Kaffee.»
«So ist es üblich», meinte die Pastorin.
Joel nickte vage. «Klingt gut …»
Während sie dasaßen und redeten, versuchte er sich Mårten gemeinsam mit diesen Menschen vorzustellen. Mit Helga, die so rührend unbeholfen, aber voller Liebe zu ihm war. Mit ihrem altklugen Riesensohn. Und mit diesen Chormitgliedern, die im Alltag wahrscheinlich als Kassiererinnen und Sozialarbeiterinnen, Tischler und Bankbeamte arbeiteten und in der kurzen Zeit, in der er sie gesehen hatte, ebenso viel Wohlwollen wie Hilflosigkeit ausgestrahlt hatten. Nicht einmal, als er sich das Foto von Mårten mit Strohhut und sommerlichem Anzug in Helgas Bücherregal in Erinnerung rief, konnte Joel diese beiden Welten zusammenbringen.
Mårten war schließlich eine schwarze Seele. Durchtrieben und hinterlistig. In seiner Nähe traf man lediglich auf Schläger und Säufer, Drogenabhängige und Dealer, Schmuggler und Betrüger, kurz gesagt auf Leute, die ihren Lebensunterhalt mit dem Elend anderer verdienten.
«Sie sehen eher zweifelnd aus», sagte Helga plötzlich.
Sie legte das Gesangbuch zur Seite, in dem sie Lieder ausgesucht hatte.
«Nein, ich habe nur dagesessen und nachgedacht …», antwortete Joel.
«Und worüber, mein Lieber?» Helga wirkte bekümmert.
Noch bevor Joel antworten konnte, stand die Pastorin hastig auf.
«Oh, wie schnell die Zeit vergangen ist», rief sie aus. «Ich bin etwas spät dran zu meinem nächsten Termin. Aber bleiben Sie gerne sitzen, wenn Sie noch etwas besprechen möchten. Schließt du dann wie immer ab, Helga?»
Sie hörten ihre klappernden Schritte auf dem Steinboden hallen, bis die Kirchentür hinter ihr zuschlug. Dann wandten sie sich wieder einander zu.
«Ich war gestern draußen in Lövestad und habe Goran Djelic einen Besuch abgestattet», sagte Joel prüfend.
Ihm fiel sofort auf, dass sie auf den Namen reagierte. Mit einer ruckartigen Bewegung zog sie ein Taschentuch aus ihrer Handtasche hervor und schnäuzte sich. Sorgfältig faltete sie es wieder zusammen, wie um Zeit zu gewinnen.
«Ein unheimlicher Ort. Er züchtet dort Kampfhunde.»
«Ich weiß», unterbrach Helga ihn. «Mårten war auch bei ihm. Ich habe ihn gewarnt. Nein, ich habe ihn regelrecht angefleht, nicht hinzufahren, aber er war fest
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