Gottes Zorn (German Edition)
nie auch nur im Mindesten religiös gewesen wäre. «Begreifst du denn nicht, dass das … Mord ist?»
Während der Zugfahrt hatte sie sich von Malmö bis nach Alvesta in der Toilette eingeschlossen und geheult wie ein Schlosshund.
Doch bevor sie in Stockholm ankam, hatte sie sich das Gesicht mit einem Papierhandtuch abgewischt, sich im Spiegel betrachtet und mit der Stimme ihres Vaters vor sich hingemurmelt: «Die Zeit heilt. Die Zeit heilt alle Wunden.»
Tick-tack. Tick-tack.
***
B ereits zum zweiten Mal hintereinander wachte sie morgens mit Kopfschmerzen auf. Doch es waren weder der Kater noch der klebrige Geschmack im Mund, die ihr am meisten zusetzten, sondern der Traum.
Sie hatten sich geliebt.
Zuerst behutsam und zärtlich, dann immer erregter und heftiger, bis sie sich der Ekstase näherte. In ihrem Körper spürte sie noch einen Rest davon.
Fatima hatte es genossen, obwohl sie es eigentlich nicht wollte. Danach kam es ihr vor, als wäre sie vergewaltigt worden.
Aber wer war er?
Sie konnte sein Gesicht nicht sehen. Wollte es nicht sehen.
Sie stieg fröstelnd aus dem Bett, obwohl es nicht kalt im Zimmer war, und stellte sich unter die Dusche. Drehte das heiße Wasser auf, sodass es auf der Haut brannte. Sie seifte sich ausgiebig ein und spülte ihren Körper gründlich ab, wieder und wieder. Heiße Dämpfe erfüllten das Bad. Fatima schloss die Augen und stellte sich vor, in einer warmen Wolke eingeschlossen zu sein, die hoch oben am Himmel schwebte, dicht neben der Sonne. Oder waren es möglicherweise andere Wärmequellen tief unten in der Unterwelt, die das Wasser verdampfen ließen?
Der Spiegel war beschlagen. Vorsichtig rieb sie mit dem Zeigefinger eine winzige Fläche frei, ein kleines Loch, durch das sie lediglich ihr eines Auge sehen konnte.
Eine ganze Weile lang stand sie still davor und versuchte zu ergründen, was ihr Blick ausstrahlte. Wut? Scham? Oder Angst?
Vorsichtig erweiterte sie das Loch, um auch das andere Auge sehen zu können. Dann die Nase und die Lippen, das Kinn und einen Teil der Stirn. Ein Wassertropfen, der auf der glatten Oberfläche kondensiert war, rann an ihrer Wange hinunter.
In ihrem Inneren wusste sie, wer es war, dem sie im Traum begegnet war.
Es war Osama, dem sie sich hingegeben hatte, und das erfüllte sie mit Wut ebenso wie mit Angst.
***
A ls ihr Handy klingelte, dachte Fatima einen Augenblick lang, dass er es wäre. Sie erstarrte vor Schreck. Doch dann wurde ihr klar, dass es natürlich unmöglich war. Sie hüllte sich rasch in ein Frottéhandtuch und griff nach ihrem Handy.
Die Stimme am anderen Ende ließ sie erleichtert aufseufzen. Eva Ström klang vertraut wie immer, wie ein Anker in der realen Welt.
«Oh, wie schön, dass du anrufst!»
«Ist etwas passiert?»
«Nein, es ist nur, dass …» Bill Lundströms Hinweis auf die Wichtigkeit der Geheimhaltung ließ sie innehalten. «Äh, es ist nur, dass diese Säpoleute einem manchmal ganz schön auf die Nerven gehen können.»
«Und wie läuft’s sonst so?»
In der Stimme der Kollegin schwang eine gewisse Sorge mit.
«Gut. Glaube ich jedenfalls. Wir haben es geschafft, dass der Kerl vor kurzem verhaftet wurde.»
«Ja, ich hab es in der Zeitung gelesen.»
Einige Sekunden lang überlegte Fatima, ob sie ihr nicht doch mehr erzählen sollte. Um ihr Gewissen zu erleichtern und zu spüren, dass sie nicht allein auf der Welt war. Sie wollte Eva von den langen Vernehmungen Osamas erzählen, und wie er sie bereits bei der ersten Begegnung gegen ihren Willen fasziniert hatte. Wie sie dagegen kämpfte, sich nicht in sein verworrenes Universum hineinziehen zu lassen, wie er ihre Gedanken beeinflusste, wie ihr sein überlegenes Grinsen auf die Nerven ging, wie sie ihn manchmal, wenn sie seine Tränen und seine Verzweiflung sah, glaubte besiegt zu haben und er ihr dann leidtat, nur um im nächsten Augenblick von der Einsicht gequält zu werden, dass er derjenige war, der gerade dabei war, die Kontrolle über sie zu gewinnen wie eine Giftschlange über eine hypnotisierte Maus.
«Ist es dir schon einmal passiert, dass du dich von einer Person, die du vernommen hast, extrem provoziert fühltest?», fragte sie schließlich.
«Ja, ziemlich oft.»
«Ich meine nicht nur, dass man genervt ist, sondern dass es sich regelrecht in einen hineinfrisst?»
«Doch, schon», antwortete Eva Ström zögernd. «Ist er so einer?»
«Ja. Und was macht man da?»
«Sich wappnen. Man vermeidet es, hineingezogen zu werden. Im
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