Gottes Zorn (German Edition)
hinübergespäht, der Graf, von dem behauptet wurde, er hätte einen Adlerblick.
Um den eingestürzten Steinhaufen herum hockten drei Männer in Overalls auf dem Boden. Sie hatten eine blau-weiße Plastikbanderole zwischen den Baumstämmen gezogen. Und den Schnee nahezu vollständig weggefegt. Zwischen einigen Steinen stachen Knochen hervor. Ein Unterschenkelknochen. Ein Arm. Ein weißer Schädel. Es sah aus, als wäre ein Wikingergrab geplündert worden.
«Wildschweine?», fragte Eva Ström misstrauisch.
Joel zuckte mit den Achseln. «Was weiß ich. Das war nur eine Vermutung. Hier in der Gegend gibt es ja jede Menge. Aber es könnte natürlich auch ein Dachs gewesen sein. Oder auch etwas anderes.»
«Aber dann hätte man Spuren sehen müssen.»
«Ja …»
Der Schnee knirschte trocken unter seinen Stiefeln, als er das Gewicht verlagerte. Er musste an Rakel denken, die den Steinhaufen im Schein der Öllampe verwüstet hatte. Sie hatte es ihm zuliebe getan. Und war dabei ein hohes Risiko eingegangen. Was auch immer geschah, er durfte sie nicht enttäuschen.
«Nicht notwendigerweise», sagte Fatima nachdenklich. «Es hat ja heute Nacht ergiebig geschneit. Mindestens zwanzig Zentimeter.»
Sie hatte Joel umgehend angerufen, nachdem er die SMS geschickt hatte. In aller Eile hatte er ihr seine Geschichte erzählt. Innerhalb einer Minute hatte sie ihn davon überzeugt, dass sie nicht allein zum See fahren könnten. Ein Leichenfund musste der Polizei formell gemeldet werden. Zwei Stunden später hatte sie ihn mit ihrem Auto abgeholt. Als sie ankamen, standen bereits drei Streifenwagen und ein Polizeibus auf dem Waldweg.
«Wir gehen alles noch einmal durch», forderte Eva Ström.
Sie nahm einen Notizblock aus der Jackentasche und klickte ihren Kugelschreiber an.
«Sie sind also hergekommen, um auf eigene Faust den Fundort zu untersuchen, wie Sie sagten?»
«Na ja, eher um mich umzusehen. Nach dem, was mit Mårten passiert ist, sind mir schon einige Fragen durch den Kopf gegangen. Ich kannte den Alten ja kaum. Und dann musste ich erfahren, dass er verdächtigt worden war, hier am See jemanden ermordet zu haben.»
«Und wonach wollten Sie sich umsehen?»
Joel warf Fatima einen hilfesuchenden Blick zu, doch die wandte sich ab.
«Ich habe Ihnen doch schon alles erzählt …»
«Erzählen Sie es noch einmal!», ermahnte ihn Eva Ström unbarmherzig.
Irgendetwas an ihrem Tonfall machte ihn unruhig. Ihre leicht aggressive, misstrauische Art. Er versuchte sich zu konzentrieren, um nicht mehr als notwendig zu lügen.
«Neulich hat mir Roger Holgersson von der
Ystads Allehanda
von dem Jugo erzählt, der spurlos verschwand. Offenbar hatte ein Graf hier Mårten und diesen Dragan gemeinsam in einem Boot sitzen und angeln sehen. Ein Mann namens Adler, der auch so scharfsichtig wie ein Adler gewesen sein soll. Also dachte ich, ich fahr mal hoch zum See und gucke, ob es überhaupt möglich ist, aus dieser großen Entfernung jemanden zu erkennen.»
«Sie wollten Mårten Lindgren also von dem Verdacht reinwaschen?»
«Tja, vielleicht, er war ja immerhin mein Vater.»
Eva Ström schrieb umständlich etwas in ihren Block.
«Adler sah anfänglich zwei Männer im Boot», sagte sie. «Und dann nur noch einen. Ich glaube nicht, dass er sich festlegte, wer derjenige war.»
«Aber alle gingen davon aus, dass es Mårten war, weil er und Dragan immer gemeinsam angeln gingen, oder?»
«Ja …»
«Wie dem auch sei, jedenfalls habe ich beschlossen, eine Runde um den See zu drehen. Um zu gucken, was man von den unterschiedlichen Stellen aus sehen kann. Und dann bin ich plötzlich über diesen Steinhaufen gestolpert. Ich hätte beinahe einen Herzschlag bekommen.»
«Und das war gestern Nachmittag?»
«Ja …»
«Da frage ich mich, warum um alles in der Welt Sie bis heute gewartet haben, bevor Sie die Polizei riefen.»
Diesmal schaute Fatima nicht weg. Es war schließlich dieselbe Frage, die sie ihm auf dem Weg hierher gestellt hatte. Joel hatte immer noch keine passende Antwort parat.
«Weiß der Teufel … Ich weiß es selbst nicht. Es muss am Schock gelegen haben.»
Ströms Gesichtsausdruck zufolge hätte er ebenso gut behaupten können, dass er Jesus sei und übers Wasser gehen könne. Joel spürte Übelkeit in sich hochsteigen.
«Glauben Sie denn, dass er es ist?»
«Wer?»
«Dieser Dragan …»
Eva Ström schnaubte irritiert. «Wer sollte es sonst sein?»
Joel schlug hilflos mit den Armen zur Seite
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