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Gottesgericht

Gottesgericht

Titel: Gottesgericht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Dunne
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Blick an, der besagte: »Bitte geh ran und lass mich zu Ende erzählen.«
    Lucia entschuldigte sich und ging hinein.
    »Lucia ist aus dem Norden«, erklärte er, als sie im Haus verschwunden war. »Sie hält uns hier in mancher Beziehung für primitiv.«
    »Ich kann sie verstehen. Ein Mann, der die Knochen seiner Tochter ausgräbt, eine Familie aus Kadavern, die eine Krypta bewacht …« Jane fing zu lachen an. »Mein Gott, es ist der reinste Horrorfilm.«
    Giuseppe klatschte erfreut in die Hände. »Ich wusste, es würde dir irgendwie gefallen. Und dass du heute noch über diese Geschichte gestolpert bist – was für ein überraschendes Ende für deinen Aufenthalt hier.«
    »Das kann man wohl sagen. Eins noch: Diese Ikone – hat sie etwas Besonderes an sich? Hast du sie einmal gesehen?«
    »Ja, sie wird an jedem ersten Adventssonntag herausgeholt, und einmal war ich bei dieser Gelegenheit in der Kirche. Sie sieht nach nichts Besonderem aus. Eine typische Ikone eben. Auf eine kleine Holztafel gemalt. Ihr Gegenstand ist im Griechischen als die Parusie bekannt.«
    »Und das bedeutet?«
    »Die Erscheinung des auferstandenen Christus in Herrlichkeit bei der Wiederkunft des Herrn. Man könnte auch kurz ›das Jüngste Gericht‹ sagen.«
    »Hm.« Jane dachte daran, wie Enzo Bua sich ihr gegenüber geäußert hatte. »Oder vielleicht la fine del mondo ?«
    » Si , Jane. La fine del mondo .«
    »Genau das hat Signor Bua auf dem Friedhof zu mir gesagt. Es ist das Ende der Welt.«
    »Vielleicht hat er die Ikone gemeint. Aber wahrscheinlich eher seine verzweifelte Lage.«
    »Wenn es sich also um kein großartiges Kunstwerk handelt, wieso wurde diese Ikone dann über Generationen hinweg von einer Familie bewacht?« Jane trank noch einen Schluck von ihrem Grappa.
    Giuseppe kratzte sich am Kopf. »Wie gesagt, das weiß heute niemand mehr genau. Sie wird nicht einmal an Feiertagen bei Prozessionen durch das Dorf getragen, wie man es sonst mit volkstümlichen Bildnissen hier in der Gegend macht. Laut Mitri Kamarda werden ihr allerdings ein paar wundersame Begebenheiten zugeschrieben. Eine fand in der Zeit statt, als Neapel die Hauptstadt dieser Region war. Die Malaria grassierte – es war so schlimm, dass Süditalien das Königreich des Todes genannt wurde. Doch das Dorf Collalba blieb von der Krankheit verschont, angeblich weil die Ikone die Malariasümpfe ausgetrocknet hatte. Kamarda glaubt, dass die Leute es gedanklich mit ihrem Heimatort in Albanien in Verbindung brachten: Liqeni i Thate – was übersetzt ›trockener See‹ bedeutet.« Giuseppe lächelte. »Viel wahrscheinlicher hat allerdings einfach die Höhenlage des Dorfs den Moskitos nicht behagt.«
    »Wenn ich kurz zynisch sein darf, Giuseppe, bist du dir sicher, dass die Familie Bua das Ganze nicht irgendwie ausbeutet? Wunderheilung gegen eine Spende – etwas in der Art?«
    »Nicht dass ich wüsste. Ich glaube, alles, was für sie dabei herausschaut, ist, dass sie am Jüngsten Tag auferstehen werden, wenn sie ihr Versprechen gehalten und die Ikone bewacht haben.«
    »Was wird jetzt mit Signor Bua geschehen?«
    »Ich glaube nicht, dass ihn die Polizei irgendwie belangen wird. Sie haben versucht, mit Shpresas Mann Kontakt aufzunehmen. Er wohnt jetzt in Potenza. Enzo hat sich bereit erklärt, mit Dr. Carlucci im Polizeiauto zum Krankenhaus in Senise zu fahren. Dort gibt es eine psychiatrische Station. Das Letzte, was der arme Mann zu mir sagte, als sie ihn in den Wagen verfrachtet haben, war: ›Shpresa … das bedeutet Hoffnung, wissen Sie.‹«
    Vom Eingang fiel ein Schatten auf die Terrasse. »Damit war es nicht weit her«, sagte Lucia mit zittriger Stimme. Sie lehnte sich an die Wand neben dem Eingang.
    »Das war Vittorio. Signor Bua … Er ist aus dem Wagen entkommen, als sie über die Brücke beim Reservoir fuhren. Die Polizisten liefen ihm nach, aber er ist über das Geländer geklettert und gesprungen.« Sie bekreuzigte sich. »Armer Mann. Er war eine gepeinigte Seele. Möge Gott ihm gnädig sein.«

4
    Während Chaim Elon in der Schlange stand, überlegte er, was sein Schwager noch über sein Erlebnis in Entebbe erzählt haben könnte. 1976 war Shlomo als Passagier in einer in Tel Aviv gestarteten Air-France-Maschine gewesen, die von palästinensischen und deutschen Terroristen nach Uganda entführt wurde. Nach der Ankunft in Entebbe trennten die Entführer über hundert israelische Staatsangehörige und Juden von den übrigen Passagieren und drohten damit,

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