Gottesopfer (epub)
auf der sie gerade lag. Vielleicht würde auch sie hier sterben. Sie fühlte einen dumpfen Druck auf der Brust, der ihr plötzlich das Atmen schwer machte.
»Ich habe über uns nachgedacht, Lina, ich denke, wir sollten gemeinsam diese Hölle hier verlassen â¦Â«
Ein Hoffnungsschimmer! Kam er doch zur Vernunft? Sie atmete tief durch, doch sie bekam kaum noch Luft. Was war das? Bekam sie einen Kollaps?
»â¦Â und zusammen ins Paradies gehen«, fuhr er leise fort. Seine Stimme war sanft und traurig.
Was redete er da? Wollte er etwa mit ihr zusammen sterben?
»Aber ich dachte, du willst ein Kind mit mir â¦Â«
»Planänderung«, sagte er trocken und sah sie ausdruckslos mit kalten Augen an.
Lina bekam Panik. Auf einmal durchbohrte sie ein dumpfer Schmerz. Ãbelkeit stieg in ihr auf. Sie musste mit ihrem Vater und ihren Schutzengeln reden. Sie brauchte ihre Hilfe. Aber dazu musste sie ein Blatt Papier und einen Stift haben. Fieberhaft dachte sie nach, dann hatte sie eine Idee, aber ob es klappen würde?
»Na schön, aber ich möchte einen Brief an meine Mutter schreiben. Bitte! Dann gehe ich mit dir, wohin du willst.« Sie legte ihre Hand auf seinen Arm. Ich muss Zeit schinden, dachte sie, wer weiÃ, vielleicht hatte ich neulich nur Glück, und diesmal hören mich meine Schutzengel gar nicht. Wenn sie ihn nur noch etwas aufhalten konnte, vielleicht würde man sie noch rechtzeitig finden. Sie hatte zwar keine Ahnung, was heute für ein Tag war und wie lange sie schon hier war, aber ihre Mutter musste doch inzwischen gemerkt haben, dass etwas nicht stimmte. Sie war am Samstag nicht ins Restaurant gekommen, war â wenn denn die neue Woche schon angefangen hatte â nicht zur Arbeit erschienen und hatte den Arzttermin sausen lassen. Sie mussten sie doch suchen.
Als hätte er ihre Gedanken gelesen und amüsiere sich köstlich über ihre Hilflosigkeit, huschte ein Lächeln über sein Gesicht, dann verschwand er.
Lina brach kalter Schweià aus. Der Schmerz wurde schlimmer, und sie krümmte sich auf der Matratze.
59
Sam stand vor der Praxistür von Doktor Ritter und klingelte Sturm. Wo blieb der Mann nur? Da öffnete sich die Tür, und der Therapeut stand vor ihm.
»Haben Sie einen Termin, Herr �«
Sam stellte sich vor und fragte nach Lina. Natürlich war sie heute Morgen nicht in der Praxis erschienen. Seine letzte Hoffnung zerstob. In knappen Worten schilderte er, dass Lina seit Samstag verschwunden war.
Doktor Ritter sah ihn überrascht an. »Wie meinen Sie das, sie ist verschwunden?«
»So, wie ich es sage. Sie ist einfach weg. Hat sie vielleicht Ihnen gegenüber irgendetwas erwähnt, dass sie jemand verfolgt hat oder etwas in der Richtung?«
»Nein. Wir sprechen eigentlich nur über die Arbeit.«
Das wunderte Sam nicht. Der Therapeut wirkte auf ihn sehr unnahbar, und er konnte sich gut vorstellen, dass Lina ihm nichts Persönliches anvertraute.
»Doktor Ritter, ich habe noch ein anderes Anliegen. Lina hat mir erzählt, dass Sie Hypnosetherapien machen. Es gibt da eine Frau, ich würde Sie bitten, sie zu hypnotisieren. Allerdings ist der Fall recht kompliziert.«
»Wie meinen Sie das, recht kompliziert?«
»Nun, wie soll ich sagen? Sie ist nicht ansprechbar. Aber sie ist vielleicht eine wichtige Zeugin, sie könnte uns etwas über einen Mörder sagen, der bereits fünf Frauen getötet hat und der jetzt vielleicht Lina verschleppt hat. Die Patientin selbst war, das vermute ich jedenfalls, auch eines seiner Opfer, und deshalb brauchen wir dringend ihre Aussage.«
»Ich verstehe Sie immer noch nicht.«
»Die Frau ist geistesgestört.«
Doktor Ritter kaute auf seiner Lippe. Dann wandte er sich ab und verschwand in einem Zimmer. Sam blieb unschlüssig in der Tür stehen, entschied sich dann aber, die Praxis zu betreten und dem Therapeuten zu folgen. Als er in den Raum kam, in den Doktor Ritter gegangen war, sah er ihn vor einem Bücherregal stehen und nachdenklich die Buchrücken betrachten. Dann zog der Therapeut ein Buch heraus und setzte sich hinter seinen Schreibtisch. Er sah kurz auf und zeigte auf den Stuhl vor dem Schreibtisch. »Setzen Sie sich doch. Haben Sie schon einmal etwas von Charcot gehört?«
»Charcot? Nein. Wer soll das sein?«
»Nun, Jean-Martin Charcot war Oberarzt an einer Heilanstalt
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