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Gottesopfer (epub)

Titel: Gottesopfer (epub) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Pleva
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ihrem Geld? Kümmere dich sofort darum, sieh zu, dass du so viel wie möglich herauskriegst, und ruf mich wieder an!« Sam legte auf. Er selbst fand das alles zwar reichlich wirr, die Geschichte von einer Lina aus dem 17. Jahrhundert, aber würde man tatsächlich davon ausgehen, wusste ihr Entführer wahrscheinlich nicht, dass Lina ein Medium war, und das wiederum könnte bedeuten: Lina lebte noch.

60
    Konstantin war nach oben gegangen und suchte in dem alten Sekretär seiner Tante Elisabeth einen Schreibblock und einen Stift für Lina. Danach ging er in die Küche, schöpfte mit der Kelle ein wenig Suppe aus einem Topf und probierte. Sie war ausgesprochen lecker, fand er und holte zwei Teller aus dem Küchenschrank. Er dachte an seine liebe Tante, die sich immer über seine Kochkünste gefreut hatte. Jahrelang hatte er sie umsorgt, gepflegt, gewaschen, ihr aus der Zeitung vorgelesen, für sie eingekauft. Das war die schönste Zeit in seinem Leben gewesen. Zum Glück hatte ihr Mann, sein Onkel Erwin, ihr genug hinterlassen, sodass sie ein sorgenfreies Leben führen konnten. Zum ersten Mal hatte er so etwas wie Liebe gespürt. In dieser Zeit hatte er den Nachnamen seiner Tante angenommen, denn den seiner verhassten Eltern wollte er nicht länger tragen. Seine Tante hatte ihn immer verstanden. Sie hatte auch nachvollziehen können, dass er seine Eltern nicht mehr sehen wollte, und so hatte sie ihrer Schwester nie gesagt, dass er bei ihr lebte.
    Konstantin stellte die Teller mit der Suppe auf ein Tablett, dazu ein Glas Wasser und ging, Block und Stift unter den Arm geklemmt, zurück in den Keller. Als er die Tür öffnete, lag Lina zusammengekrümmt auf dem Bett und rührte sich nicht. Konstantin stellte das Tablett ab und rief ihren Namen. Nichts. Er näherte sich ihr und berührte sie am Arm, doch sie regte sich noch immer nicht. Er drehte sie auf den Rücken und fühlte ihren Puls. Nichts. Linas Herz hatte aufgehört zu schlagen.

2005
    Eines Tages stand sie vor der Tür: der Engel. Der Pflegedienst schickte ihm zur Unterstützung eine junge Frau. Sie war sanft und demütig, sie machte alles, was Konstantin ihr auftrug. Er war ganz angetan von dem engelsgleichen Wesen, sie war so anders als die Nonnen damals im Kloster, die ihn nicht einmal richtig angesehen hatten. Ihr Haar war hellblond, beinahe weiß wie das hellste Silber. Sie war keine Schönheit, im Gegenteil: Ihre Haut war blass, sie hatte viele Leberflecken, ihr Mund war klein und schmal, und ihre Nase ragte gerade und scharfkantig wie eine Haifischflosse aus dem Gesicht. Dafür waren ihre Augen von einem schönen Hellblau und blickten ihn stets sanftmütig an. Ein Jahr liefen sie in der großen Villa aneinander vorbei, berührten sich nur hier und da zufällig, wenn sie gemeinsam die Tante umbetteten, oder lächelten sich schüchtern an. Bis zu dieser Nacht.
    Als er aufwachte, stand sie vor seinem Bett. Wie hypnotisiert hob er die Decke, und sie drängte sich an ihn. Berührte ihn an Stellen, an denen bis jetzt nur er sich berührt hatte. Plötzlich setzte sie sich auf ihn, und er explodierte innerlich. Etwas schoss aus seinem Unterleib in den Engel, er zuckte, bebte, stöhnte – dann war es vorbei, und der Engel legte sich wieder neben ihn. Die ganze Nacht machte er kein Auge zu. Er lag steif wie eine Mumie neben ihr und lauschte ihrem leisen Atem. Als er morgens wie immer aufstand und nach der Tante sah, blickte er in ihre toten Augen. Er bekam Angst. Keiner sollte erfahren, dass sie tot war. Nichts sollte sich ändern. Er schickte den Engel nach Hause. Tag und Nacht saß er neben dem Bett seiner Tante und redete mit ihr, bis der Gestank unerträglich wurde und er sie im Keller vergrub.
    Seine Trauer war unerträglich, wieder war er verlassen worden. Er lebte alleine in dem großen Haus, ging nur nachts hinaus.Das Essen ließ er sich vor die Tür stellen, und Überweisungsbelege für die laufenden Kosten warf er nachts in den Briefkasten der Bank. Er hatte kein Testament gefunden, und er hatte Angst, dass sich entfernte Verwandte wegen des Erbes melden könnten. Wovon hätte er leben sollen? Er hatte nichts gelernt, hatte nie gearbeitet, kannte sich da draußen nicht aus. Er wusste nur, dass regelmäßig die Witwenrente auf ihrem Konto einging und dass ihr Erspartes den Rest seines Lebens reichen würde. Ihre

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