Gottesopfer (epub)
denn, sie gehören zusammen.« Juris Worte machten Sam nur mehr als deutlich, dass seine Vermutung gar nicht so abwegig war, dass Linas Entführer und ihr Mörder ein und dieselbe Person sein könnten.
Sam stand auf und verlieà das Büro. Er wollte Pater Dominik das Foto von der Frau aus der Klinik zeigen. Vielleicht erkannte der Priester ja eines seiner verlorenen Schäfchen wieder? Während er zu seinem Auto ging, rief er bei der Auskunft an. Dort lieà er sich Doktor Ritters Nummer geben. Vielleicht war sie ja heute Morgen ganz normal zur Arbeit gegangen, und es gab für alles eine Erklärung? Doch in der Praxis sprang nur ein Anrufbeantworter an, und Sam legte auf, bevor die Ansage zu Ende war.
57
Das Kirchenportal war geschlossen. Sam rüttelte an der Tür, doch nichts tat sich. Daher ging er um die Kirche zum Pfarrhaus, klingelte dort ein paarmal und wartete. Alles war still. Nur der Wind war zu hören.
Sam drückte die eiserne Türklinke nach unten und war überrascht: Es war offen. Er ging hinein und rief die Treppe hinauf: »Hallo, Pater Dominik?«
Keine Antwort. Dann ging er zu der kleinen Tür, die in die Kirche führte, öffnete sie und betrat die Kirche. Alles lag im Dunkeln. Plötzlich hatte er ein Déjà -vu. In einer ähnlichen Situation war er vor ein paar Jahren schon einmal gewesen. Es war einer seiner ersten Fälle, sie hatten gegen einen Pädophilen ermittelt, und dann war ein kleiner Junge verschwunden. Er hatte in einer Kirche gestanden, so wie jetzt, und hatte gerufen. Wie heute hatte er keine Antwort erhalten, und dann hatte er auf einmal den Priester gesehen und den kleinen Jungen, mit dem Kopf unter der Soutane. Er würde das Bild nie vergessen. In diesem Moment hatte er den letzten Respekt vor der Kirche und ihren Dienern verloren. Seitdem hasste er ihre Scheinheiligkeit, ihre Ãberheblichkeit, normale Menschen mit Fehlern und Trieben als Vertreter Gottes hinzustellen, als Gottes Diener, die angeblich allem entsagt hatten. Eine groÃe Lüge, eine einzige Heuchelei.
Er ging zurück ins Pfarrhaus und stieg langsam die Treppe hinauf.»Pater Dominik? Ich muss mit Ihnen reden«, rief er laut, um dem Priester wenigstens die Chance zu geben, seine Hose hochzuziehen und ein paar Schritte von dem kleinen Ministranten zurückzutreten. Wieder keine Antwort. Die Stille war unheimlich, und Sam ging nun schneller die Stufen hinauf. Der Vorraum war leer, nur auf dem Boden hatte jemand etwas ausgekippt und nicht weggewischt. Auch in dem Zimmer dahinter, offenbar das Arbeitszimmer des Paters, war niemand zu sehen. Noch bevor er die Tür zum Schlafzimmer öffnete, wusste er, dass hier etwas Schreckliches passiert war.
Pater Dominik hing nackt über seinem Bett an der Wand. Seine Arme waren ausgebreitet, als sei er bereit für eine Umarmung. Die Nägel waren nicht nur in die Innenfläche der Hände und in die FüÃe getrieben, sondern in den ganzen Körper, vermutlich damit er nicht von der Wand fiel. Nicht einmal die Augen waren verschont geblieben, Blut tropfte wie Tränen aus ihnen. Ein Stück schwarzer Stoff war ihm um die Hüften geschlungen. Sam sah sich um und entdeckte eine zerfetzte Soutane. Sollte das ein Zeichen sein? Schwarz als Zeichen der Dunkelheit, ein Symbol für die Dämonen? Oder sollte die zerrissene Soutane zeigen, dass der Pater ein Ketzer war? Fest stand: Hier endete abermals eine Spur. Sam schluckte schwer und ging in das Arbeitszimmer des Pfarrers, um zu sehen, ob er dort irgendetwas fand, was auf den Mörder hinwies.
Auf dem Schreibtisch stand ein aufgeklappter Laptop. Sieh an, dachte Sam, selbst die Kirche geht mit der Zeit. Der Bildschirm war schwarz, doch als er vorsichtig die Maus berührte, sah er ein Dokument. Einen Brief an das Bischofsamt mit dem fetten Betreff »Austritt«.
Pater Dominik hatte aus der Kirche austreten wollen. Aber warum? Hatte er sich schuldig gefühlt nach dem Tod von Isabella Longi, seinem Medium? Konnte er seine spiritistischen Sitzungen nicht mehr mit seinem Amt vereinbaren? Diese Antworten konnte ihm der Pater nun nicht mehr geben.
Sam überfiel plötzlich eine lähmende Müdigkeit. Er benachrichtigte Juri über den Tod von Pater Dominik, bat ihn, mit ein paar Männern ins Pfarrhaus zu kommen, und ging hinaus in den kleinen Garten vor der Kirche. Die Gedanken in seinem Kopf versanken wie in Treibsand, sie führten zu
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