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Gottesopfer (epub)

Titel: Gottesopfer (epub) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Pleva
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nichts, verschwanden in einem Strudel. Auf einmal gesellte sich zu der Müdigkeit eine unendliche Trauer. Zum ersten Mal seit Lilys Tod weinte er um sie. Um sie und um Argault, um Lina und sogar um Pater Dominik, dessen unwürdiges Ende er nicht hatte verhindern können. Er hatte den sanften Pfarrer am Ende fast gemocht. Er hatte seine Wut auf die Kirche geduldig hingenommen, ohne ihn dafür anzuklagen, ohne ihm mit Phrasen zu kommen. Sam fand, dass der Pater seines Amtes würdig gewesen war.

58
    Ihr Magen knurrte laut. Wollte er sie hier verhungern lassen? Was erwartete er von ihr? Vielleicht war sie als Luise im 17. Jahrhundert dünner gewesen, und er setzte sie auf Diät, damit sie ihr, zumindest äußerlich, ähnlicher wurde, überlegte Lina sarkastisch. Dann fiel ihr Blick wieder auf den Fleck. Er ließ ihr keine Ruhe. Sie hatte ihn vorher so lange angestarrt, dass das Schwarz fast rot geworden war, rot wie Blut. Ja, sie war sich inzwischen fast sicher, dass es sich um getrocknetes Blut handelte. Sie bildete sich sogar ein, den metallischen Geruch riechen zu können.
    Sie zog an ihren Fesseln, ihre Gelenke taten weh. Nachdenklich betrachtete sie das Bett. Ob man das Gestell wohl auseinandernehmen konnte? Dann könnte sie sich befreien, könnte sich zumindest im Raum bewegen. In Gedanken sprach sie mit ihrem Vater und ihren Engeln. Konnten sie ihr nicht helfen? Aber um ihre Antworten zu verstehen, brauchte sie einen Zettel und einen Stift, dann könnten sie ihr wie neulich in der Praxis Botschaften übermitteln.
    Da hörte sie Schritte. Der Riegel wurde beiseitegeschoben. Vielleicht würde sie nun endlich etwas zu essen bekommen?

    Er stand in der Tür und sah sie an. Sein Gesicht war so ausdruckslos, dass sie nicht einmal ahnen konnte, was er dachte.
    Â»Pass auf, ich habe ein krankes Herz, und wenn ich nicht bald etwas zu essen bekomme, bleibt es vielleicht stehen. Das willst du doch nicht, oder? Außerdem ist es hier unten nicht gerade gemütlich, ich habe ziemlich Angst alleine. Vor allem frage ich mich, was das für ein Fleck ist, der macht mich ganz verrückt.« Lina versuchte, ihn irgendwie zu erreichen, eine Reaktion bei ihm auszulösen.
    Er sah stumm auf den Fleck und setzte sich dann zu ihr aufs Bett. Lina rückte von ihm ab und rutschte fröstelnd näher an die kalte Steinmauer.
    Â»Sie wollte unser Kind töten, weil es angeblich einen genetischen Fehler hatte. Ja, abtreiben wollte sie es. Einfach so«, sagte er leise.
    Lina war überrascht, wie traurig seine Stimme klang. Beinahe hätte sie ihn in den Arm genommen, um ihn zu trösten, doch dann fiel ihr Blick auf ihre Fesseln und ließ sie das Gefühl sofort wieder vergessen.
    Â»Wie kam sie darauf? Hat ihr ein Arzt das gesagt?«
    Â»Nein. Sie war bei einer Wahrsagerin.«
    Â»Aber wie kann eine Wahrsagerin …?«
    Er war aufgestanden und ging über den Fleck. »Genau hier endete das Leben meines Kindes. Ich habe sie hier eingesperrt, um mein ungeborenes Kind zu retten. Aber das Miststück hat es verloren.« Sein eben noch trauriges Gesicht verzog sich zu einem bösartigen Grinsen. »Und sie hat dafür bezahlt, genauso wie die andere Hexe.«
    Â»Welche andere Hexe?«
    Â»Die, die mir mein Kind genommen hat, mit ihren teuflischen Karten.« Er hatte die letzten Worte herausgeschrien und sah sie hasserfüllt an.
    Lina bekam eine Gänsehaut, sie fürchtete sich vor seinem Blick.
    Â»Durch diese Frauen sprechen die Dämonen. Sie manipulierendas Leben anderer mit ihren Lügen. Sie erzählen vom Tod, von der großen Liebe, von Geldboten, die nie kommen, von Krankheiten, die nie ausbrechen. Diese Weiber sind ein Instrument des Teufels. Durch sie spielt er seine Spielchen mit den Menschen. Und sie saugen alles auf, klammern sich an jeden Zipfel Hoffnung. Hoffnung auf eine Veränderung in ihrem kleinen, nichtssagenden Leben auf dieser trostlosen Welt. Das Weib ist zu schwach, um Satan standzuhalten, und damit reißt es alles um sich herum mit ins Unglück. Das Weib ist der Anfang allen Übels. Es glaubt an Satan und nicht an Gott.«
    Dieser Mann war zweifelsohne wahnsinnig, das war Lina nun endgültig klar. Sie sah wieder zu dem dunklen Fleck auf dem Boden und fragte vorsichtig: » Und wo ist deine Frau jetzt?«
    Doch sie erhielt keine Antwort. Wahrscheinlich war sie tot, verendet in diesem Kerker, auf dieser Matratze,

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