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Gotteszahl

Gotteszahl

Titel: Gotteszahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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gut«, hörte sie Yngvar sagen. »Wir reden morgen weiter. Hol mich um sechs hier ab.« Er beendete das Gespräch.
    »Um sechs«, stöhnte Inger Johanne. »Da hätten wir endlich mal ein bisschen länger schlafen können.«
    Sie setzte sich aufs Sofa.
    »Das war doch ein richtig netter Abend«, sagte Yngvar und ließ sich neben sie fallen. »Dein Vater war wie immer reizend und nervig zugleich. Deine Mutter … deine Mutter …«
    »War gemein zu mir, nett zu Ragnhild, großartig mit Kristiane und herablassend dir gegenüber. Und einfach hinreißend zu Isak, als er dann endlich auftauchte. Wie immer. Wer ist tot?«
    »Was?«
    »Der Anruf?«
    Inger Johanne nickte zum Telefon auf dem Couchtisch hinüber.
    »Ach. Verzwickte Sache.«
    »Wenn die Arbeit am Heiligen Abend ruft, muss es ja wohl verzwickt sein. Worum geht es?«
    Yngvar griff nach seinem Glas und setzte es so eifrig an den Mund, dass er einen roten Schnurrbart hatte, als er es wieder wegstellte. Dann riss er sich zusammen, schaute auf die Uhr und lief in die Küche. Inger Johanne hörte, wie er ins Spülbecken spuckte.
    »Ich muss vielleicht morgen fahren«, sagte er und wischte sich mit seinem Ärmel den Mund, als er zurückkam. »Jedenfalls muss ich klar denken können.«
    »Du denkst doch immer klar.«
    Er lächelte und ließ sich wieder neben sie fallen. Der Couchtisch war noch immer bedeckt mit Geschenkpapier, Gläsern, Kaffeetassen und Limonadeflaschen. Mit einer Behutsamkeit, die niemand dem schweren Mann zugetraut hätte, legte er die Beine auf den Tisch, mitten hinein ins Durcheinander.
    »Eva Karin Lysgaard«, sagte er und nippte an einer Flasche Mineralwasser, die er sich aus der Küche geholt hatte. »Sie ist tot.«
    »Eva Karin Lysgaard? Die Bischöfin? Bischöfin Lysgaard?«
    Er nickte.
    »Wieso denn? Ich meine, wenn sie dich anrufen, muss doch ein Verbrechen vorliegen. Ist sie umgebracht worden? Bischöfin Lysgaard umgebracht? Wie denn? Wann?«
    Yngvar rieb sich das Gesicht, als könnte ihn das nüchterner machen. »Ich weiß noch ganz wenig. Es muss vor nur …«
    Er warf einen Blick auf die Uhr. »… vor etwas mehr als zwei Stunden passiert sein. Sie wurde erstochen, mehr weiß ich nicht. Na ja, auch das weiß ich nicht mit Sicherheit, aber es sieht bisher so aus, als sei eine tiefe Stichwunde in der Herzgegend die Todesursache. Sie wurde auf der Straße niedergestochen. Im Freien also. Der Polizeiabschnitt Hordaland bittet uns in einem solchen Fall eigentlich nicht um Unterstützung, zumindest nicht so schnell. Aber das hier wird … na ja. Sigmund Berli und ich fahren morgen jedenfalls hin.«
    Inger Johanne stellte ihr Weinglas ab. »Himmel« , mehr fiel ihr nicht ein.
    Sie blieben schweigend sitzen. Inger Johanne fröstelte. Eva Karin Lysgaard. Die sanftmütige prominente Bischöfin von Bjørgvin. Ermordet. Am Heiligen Abend. Inger Johanne versuchte, eine Gedankenreihe zu Ende zu führen, aber ihr Gehirn drehte sich im Leerlauf.
    Noch am Freitag, an dem Tag, an dem die verdammte Hochzeit stattgefunden hatte, war Bischöfin Lysgaard in der Wochenendbeilage von Dagbladet porträtiert worden. Vier Seiten nur über sie. Inger Johanne hatte an jenem Tag keine Zeitungen lesen können, hatte die Ausgabe aber gekauft und für später aufbewahrt. Sie war noch immer nicht dazu gekommen.
    Jetzt nahm sie die Beilage aus dem Zeitungskorb und legte sie auf ihre Knie. »Hier«, sagte sie, »Bischöfin ohne Peitsche.«
    Beide beugten sich über die Zeitung. Das Bild auf der Titelseite zeigte das Gesicht einer älteren Frau. Die Augen waren mandelförmig, zogen sich aber leicht nach unten. Das ließ sie trotz ihres Lächelns traurig aussehen. Die Iris war tiefbraun, fast schwarz, und sie hatte dunkle, breite Augenbrauen. Trotz der Falten um die Augen fielen ihre außergewöhnlich langen Wimpern auf.
    »Ziemlich hübsche Frau«, murmelte Yngvar und wollte weiterblättern.
    »Nicht hübsch eigentlich. Etwas Besonderes. Eigenartig. Sie sieht genauso lieb aus, wie sie im … Leben gewirkt hat.«
    Inger Johanne konnte den Blick nicht abwenden. Yngvar gähnte ausgiebig. »Verzeihung«, sagte er und schüttelte den Kopf. »Aber ich sollte mir wohl noch ein wenig Schlaf holen. Eigentlich müssten wir aufräumen, sonst bleibt morgen alles an dir hängen, und das kann …«
    »Im Freien«, fiel Inger Johanne ihm ins Wort. »Hast du gesagt, sie sei im Freien getötet worden? Am Heiligen Abend?«
    »Ja. Wie durch ein Wunder hat eine Hundestreife sie gefunden.

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