Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman
kleinen Prinzessin im Schlosse von Madrid vollzogen werden könne, in den Gemächern des Königs. Don Carlos war bedenklich. Zwar hätte eine solche Reise nach Madrid ihm einen unangenehmen Besuch in der Gruft der Ahnen im Escorial erspart; aber die Dauer des Aufenthalts in den einzelnen Schlössern war vom Zeremoniell genau festgelegt, und sein hochseliger Vater hatte sein Leben riskiert, um diese Regel nicht zu verletzen. Allein Doña Maria Luisa erklärte, der Infant Manuel habe König und Reich so außerordentliche Dienste geleistet, daß man ihm diesen Lieblingswunsch erfüllen müsse, sie bestand, und der König gab nach.
Er berief den Ersten Kämmerer und erteilte den Auftrag. Der bestürzte Marqués de Ariza erhob ehrfürchtige Vorstellungen, die Vorschrift im »Handbuch des Zeremoniells« sei unzweideutig, sie sei ein Vierteljahrtausend lang nicht verletzt worden. Doña María Luisa meinte kühl: »Einmal muß es das erste Mal sein.« Der König wiegte den großen Kopf und sagte zu dem Marqués: »Du hörst, mein Lieber.« Der Marqués de Ariza, der Marqués de la Vega Inclán und die Marquesa de Monte Alegre saßen zusammen, betreten und empört. Der Marqués de Ariza, der niemals in seinem Leben irgendwelche Erregung gezeigt hatte, erklärte geröteten Gesichtes: »Am liebsten risse ich die Seite 52 des ›Handbuchs‹ mit eigenen Händen heraus und zöge mich dann auf meine Güter zurück.«
Der Bruch der Etikette machte ungeheures Aufsehen. Alle Botschafter meldeten das Ereignis ihren Regierungen als sicheres Zeichen dafür, daß nun Don Manuel wieder die unumschränkteLeitung der Geschicke Spaniens in die Hand genommen habe.
Nur sechsunddreißig Stunden sollte der Aufenthalt des Königspaares in der Hauptstadt dauern. Doch alle Minister, die Hofchargen, der große und kleine Dienst des Königs sowohl wie der Königin, die Mitglieder der Hofkapelle, der Haushalt des Königspaares und der Infanten mußten die Katholischen Majestäten begleiten.
Die Taufe erfolgte unter Feierlichkeiten, wie sie sonst nur die Taufe eines Thronfolgers begleiteten. Die Camarera Mayor, eskortiert von einer Abteilung Schweizer Garden, begab sich in den Palacio Alcudia, um das Kind Don Manuels in das Königsschloß zu bringen. Die Amme folgte in einem königlichen Wagen. Die Taufe wurde vorgenommen in den Gemächern des Katholischen Königs von dem Großinquisitor Don Ramón de Reynoso y Arce. Er taufte das Kind auf den Namen Carlota Luisa. Dann ließ sich Don Carlos selber den Säugling reichen. Vorsichtig, um nicht mit seinen vielen Orden das Kind zu verletzen, schaukelte er es hin und her, hielt ihm den Finger vors Gesicht und machte »Tatata«. »Ein hübsches Kind«, urteilte er, »eine starke, gesunde Prinzessin, die dem Hause der Bourbonen Ehre machen wird.« Dann brachte die Camarera Mayor, diesmal geleitet von der Wallonischen Garde, die kleine Infantin zurück in das Palais Don Manuels.
Eine Stunde später begaben sich die Katholischen Majestäten selber zu Don Manuel. Sie fuhren, zum ersten Mal, in dem Gala-Wagen, den ihnen drei Wochen zuvor die Französische Republik zum Geschenk gemacht hatte; er stammte aus dem Marstall des guillotinierten Sechzehnten Louis, doch war er etwas umgearbeitet.
Bei Don Manuel fand Gala-Tafel statt. Neben dem Königspaar nahmen beinahe alle Würdenträger teil, auch der französische Botschafter Lucien Bonaparte. Die Geschenke, welche man der kleinen Prinzessin gemacht hatte, waren ausgestellt; sie füllten zwei Säle; Lucien Bonaparte hatte im Auftragdes Ersten Konsuls eine goldene Kinderklapper überreicht. María Luisa mit ihren schwarzen, scharfen Augen musterte die Geschenke, sie schätzte ihren Wert auf zwei bis drei Millionen. Sie selber verlieh der kleinen Infantin den von ihr gestifteten Orden »Für Adel, Tugend und Verdienst – Nobilitati, Virtuti, Merito«.
Der Infant Don Manuel ließ Geld unter die Menge auswerfen, fünfzigtausend Realen. Dennoch schimpfte der Pöbel, der Populacho, die Chusma.
Wenige Wochen später kam Pepa nieder. Der kleine Graf Castillofiel wurde getauft von dem Bischof von Cuenca, auf die Namen Luis María und auf eine Reihe anderer Namen, darunter Manuel und Francisco. Der Festakt fand statt in dem Palacio Bondad Real.
Auch Don Manuel nahm teil und
In Vertretung des Kathol’schen
Königs einer seiner Kammer-
Herren. Als Geschenk des Königs
Überreichte er ein seltnes,
Wundertät’ges Schmuckstück, einen
Zahn des Heiligen
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