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Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman

Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman

Titel: Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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doch nicht einfach weggewischt werden wie die Figuren, die er in den Sand zu zeichnen pflegte.
    Francisco war nicht allein im Atelier. Wie beinahe immer war sein Schüler und Mitarbeiter Agustín Esteve da; der Raum war groß genug, daß man einander nicht störte.
    Heute malte Don Agustín an einem Reiterbild des Generals Ricardos. Das kalte, grämliche Gesicht des alten Generals hatte Goya gemalt, das Pferd und die zahllosen Einzelheiten der Uniform und der Medaillen, auf deren genaue Wiedergabe der General Gewicht legte, überließ er seinem gewissenhaften Agustín. Agustín Esteve, ein hagerer Mensch Anfang der Dreißig, hügeliger Kopf, hohe, gebuckelte Stirn unter zurückweichendem Haar, hohle Wangen, dünne Lippen, das ganze Gesicht länglich, ziemlich spitz zulaufend, war nicht redselig; Francisco indes, mitteilsam von Natur, liebte es, auch während der Arbeit zu schwatzen. Heute aber war auch er schweigsam. Gegen seine Gewohnheit hatte er von dem Abend bei der Alba nicht einmal seinen Nächsten erzählt.
    Agustín, auf seine leise Art, trat hinter Goya und beschaute die silbriggraue Leinwand mit der silbriggrauen Frau. Er lebte nun sieben Jahre bei Goya, sie waren beinahe denganzen Tag zusammen. Don Agustín Esteve war kein großer Maler und war sich dessen schmerzhaft deutlich bewußt. Aber er verstand viel vom Malen, und da war kein zweiter, der so genau gewußt hätte, was stark an Francisco war und was läppisch. Goya brauchte ihn, sein mürrisches Lob, seinen mürrischen Tadel, seine stummen Vorwürfe. Goya brauchte Kritik, er begehrte dagegen auf, er verhöhnte und beschimpfte den Kritiker, er bewarf ihn mit Schmutz, aber er brauchte ihn, seine Bestätigung und seine Verneinung. Er brauchte seinen schweigsamen, immer verdrossenen, tief verständigen, viel wissenden, kennerischen, hageren Agustín, der herumging wie die sieben mageren Kühe, er beschimpfte ihn wüst, wünschte ihn zum Teufel, liebte ihn. Er konnte ohne ihn nicht auskommen, sowenig wie Agustín ohne seinen großen, kindischen, bewunderten, unerträglichen Freund.
    Agustín schaute lange auf das Bild. Auch er kannte die Dame, die da so spöttisch von der Leinwand auf ihn schaute, er kannte sie sehr gut, er liebte sie. Er hatte kein Glück bei Frauen, und er wußte, wie wenig reizvoll er war. Doña Lucía Bermúdez war bekannt als eine der wenigen Frauen von Madrid, die neben ihrem Manne keinen Cortejo hatte, keinen erklärten Liebhaber. Francisco, dem, wenn er’s nur darauf anlegte, jede Frau zufiel, hätte sicher ihr Cortejo werden können. Daß er’s offenbar nicht wollte, befriedigte Agustín, doch kränkte es ihn auch. Er war bei alledem Kenner genug, das Bild nur auf seinen künstlerischen Wert hin anzuschauen. Er sah, daß es gut war, und daß gerade das, was Francisco anstrebte, nicht erreicht war. Er bedauerte das und freute sich, ging zurück zu seiner großen Leinwand und arbeitete schweigend weiter am Hinterteil seines Generalspferdes.
    Goya war es gewohnt, daß Agustín hinter ihm stand und auf seine Leinwand schaute. Das Porträt der Doña Lucía war nicht geglückt, immerhin war, was er da machte, neu und verwegen, und er hatte auf Agustíns Urteil gespannt gewartet. Nun dieser wiederum stumm vor seinem berittenen General saß, stieg Wut in Goya hoch. Wie frech er war, dieser verkrachteStudent, der sich hatte nähren müssen von Bettelsuppen an Freitischen. Wo wäre der Jämmerling hingekommen, wenn sich er, Francisco, seiner nicht angenommen hätte? Der Kastrat, der alle Frauen anschmachtete und sich nichts traute und nichts erreichte. Und so einer wagte es, sich wortlos von seinem Bilde abzukehren. Aber er hielt an sich. Tat, als habe er nicht gemerkt, daß sich der andere das Bild angeschaut hatte. Arbeitete weiter.
    Zwei Minuten hielt er’s aus, dann, grimmig, gefährlich sanft, sagte er über die Achsel: »Was hast du zu äußern beliebt? Du weißt doch, daß es heute um meine Ohren wieder schlechter steht. Du hättest ruhig deine faulen Lippen ein wenig weiter aufmachen können.« Don Agustín erwiderte sehr laut und sehr trocken: »Ich habe nichts gesagt.« – »Wenn man von dir was hören will«, schimpfte Francisco, »dann spielst du Salzsäule, und wenn du nicht gefragt bist, dann geht es wie ein Wasserfall.« Agustín erwiderte nichts. Goya aber, böse, fuhr fort: »Ich habe dem General Ricardos versprochen, den Schinken noch diese Woche abzuliefern. Wann endlich wirst du mit deinem Pferd fertig?« – »Noch

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