Graf Petöfy
interessant und eigenartig und zeigt uns das Leben von einer neuen Seite. Wie fanden Sie London?«
»Vor allem ohne Londoner und beinahe auch ohne Engländer. Es ist dasselbe wie mit Wien, wie mit allen großen Städten. Sie werden zum Rendezvous für die Provinzen oder die Welt überhaupt. In London ist alles ›irish‹ und ›scotch‹, und wollte man die Deutschen zählen, so fände man wahrscheinlich mehr als in unserem guten Wien. Im übrigen, um auch das noch zu sagen, ich kann mich mit einer Lebensweise nicht befreunden, die den Tag mit Speck und Ei beginnt und ihn mit Cognac abschließt. Kardinal Antonelli soll denn auch ausgerufen haben: ›Ich mag kein Volk, das vierzig Sekten und
eine
Sauce hat.‹ Er hätte nach meinen Erfahrungen auch noch hinzusetzen können: Alles sei schwer und massig in diesem Lande, sogar die Träume. Wenigstens sprechen sie selber von plumpudding dreams.«
Es fehlte, wie sich denken läßt, nicht an Opposition dagegen, am meisten von seiten Phemis, die nicht müde wurde, vom Großen Freibrief an, über Milton und Shakespeare weg bis zu Scott und Thackeray hin, alles zu loben und zu preisen. Egon und Graf Pejevics amüsierten sich ersichtlich und stimmten mit ein oder widersprachen auch, je nach Laune.
So schwanden die Stunden, und erst als die Sonne gesunken und statt ihrer die Mondsichel sichtbar geworden war, erhob man sich, um den Rückweg anzutreten.
Auch die Gräfin zog jetzt vor zu gehen und sprach nur den Wunsch aus, daß der am wenigsten abschüssige Weg eingeschlagen würde. Graf Pejevics bot ihr den Arm, und Phemi plauderte nebenher, während Egon mit Franziska folgte.
Man ging anfänglich sehr vorsichtig, vorsichtiger noch als nötig; als man aber die Kuppe passiert und die breiteren Gelände gewonnen hatte, machte sich's, daß man nicht nur in aller Bequemlichkeit, sondern auch in einem beflügelten Marschtempo marschieren konnte. Denn das bunte Treiben auf dem Schützenplatz unten hatte mittlerweile begonnen, und die festen Takte von Trommel und Pauke drangen bis hoch an den Abhang hinauf. Um jedes Carrousel her waren Lichter und Lampions, und inmitten eines eingefriedigten Platzes, auf dem trotz der Mondhelle noch viele Pechfackeln brannten, erkannte man nicht nur Pierrot und Harlekin, sondern hörte ganz deutlich auch das Gelächter, das die Kapriolen und Witze beider begleitete.
»Wir kommen gerade zu guter Zeit«, wandte sich Egon an seine Begleiterin. »Und ich freue mich darauf. Können Sie sich denken, daß ich ein wirkliches Vergnügen an diesen Dingen habe?«
»Gewiß«, antwortete Franziska, »das dürfen Sie, das ist Ihr gutes Recht. Und wenn ich an Ihrer Stelle wäre, so würd ich es auch haben. Aber unsereins ist doch mehr oder weniger geniert und empfindet leicht eine Verwandtschaft heraus, die schließlich bedenklich ist.«
»Sie scherzen«, sagte der Graf, »oder wenn es wirklich Ihr Ernst ist, so möcht ich fast von Empfindelei sprechen dürfen.«
»Empfindelei vielleicht. Aber Scherz, nein. Ich nehm es ganz ernsthaft. Auch glaub ich kaum, daß ich damit vereinzelt dastehe.«
»Phemi?« lachte der Graf.
»Nein, Phemi nicht. Aber andere, wobei mir eine kleine, dasselbe Gefühl ausdrückende Lenau-Geschichte wieder in Erinnerung kommt, die mir Bauernfeld letzten Winter erzählte.«
»Darf ich sie wissen?«
»Gewiß. Ich habe die Namen und näheren Umstände vergessen, aber gleichviel. In irgendeinem Wiener Restaurant, in dem Lenau verkehrte, befand sich eine junge Person, die nicht bloß die Gäste bediente, sondern auch Verse machte. Diese Verse nun wurden bei bestimmter Gelegenheit an Lenau gegeben, der sie las und sofort in eine befangene Stellung zu der neu entdeckten Dichterin geriet. Alles, was sie geschrieben hatte, war unter mittelmäßig, aber sich auch fernerhin von ihr bedienen zu lassen erschien ihm nichtsdestoweniger unmöglich oder doch im höchsten Grade peinlich. Er sah in ihr die Kollegin, die Mitschwester und wußte sich schließlich nicht anders zu helfen, als daß er fortblieb. Es hat das, als mir Bauernfeld davon sprach, einen großen Eindruck auf mich gemacht, und ich würd es einen feinen und liebenswürdigen Zug an Lenau nennen, wenn ich mir nicht selber damit eine Schmeichelei sagte.«
»Die Sie sich mit gutem Gewissen sagen dürfen«, antwortete der Graf und nahm einen Augenblick ihre Hand. »Übrigens freut es mich aufrichtig, Sie so lenaubegeistert zu finden. Heute schon zum zweiten Male.«
»Wie das? Zum
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