Graf Petöfy
zweiten Male?«
»Nun, meine Gnädigste, Sie werden doch allen Ernstes nicht glauben wollen, daß ich das schöne ›Nach-Süden‹-Lied, wie Sie's damals nannten, und seine Schlußstrophe vergessen haben könnte?«
»Welches?«
»›Hörbar rauscht die Zeit vorüber an des Mädchens Einsamkeit‹ ... Ich glaube, so hieß es. Es hat mich damals in seiner melancholischen Schönheit eigentümlich ergriffen und war der erste Plauderabend bei der Tante. Nur Feßler war zugegen und draußen Schnee gefallen. Entsinnen Sie sich noch?«
Franziska war betroffen, aber es gelang ihr, ihre Verlegenheit zu verbergen, und in einem immer lebhafter werdenden Gespräche schritten beide die Berglehne hinunter und auf die Budengasse zu.
»Sollten wir nicht lieber einen Umweg machen?«
»Oh, nicht doch«, antwortete die Gräfin, an die sich seitens Franziskas diese Frage gerichtet hatte. »Mein Leben verläuft viel zu still und einsam, als daß es mir nicht eine Freude sein sollte, von ungefähr unter Menschen zu kommen. Ich such es nicht auf, aber wenn es sich gibt, so heiß ich es jedesmal willkommen.«
Und so mündete man denn wirklich in das bunte Fest- und Jahrmarkttreiben ein.
Eine Menge großer Schaubuden war da, Panoramen, an denen sie, dem Menschenzuge folgend, rasch vorübergingen, bis ihnen zuletzt ein kleines Zelt auffiel, über dessen Eingang in Transparent die Worte standen: »Einzige Verkündigung der Wahrheit«, und darunter in kleiner Schrift: »Fünfzig Kreuzer.«
»Ah!« sagte Phemi, »da muß ich hinein. Oft ist mir die Wahrheit umsonst gesagt worden, aber sie war auch darnach. Nichts ist umsonst, nicht einmal die Wahrheit.«
Und sie schickte sich wirklich an, in das Zelt einzutreten.
Aber Franziska zog sie wie mit Gewalt zurück und sagte: »Du bleibst!«
Eine momentane Verlegenheit trat ein und schwand erst wieder, als man aus der Budengasse heraus war.
»Ich war überrascht, Sie so heftig zu sehen«, nahm endlich Egon das Gespräch wieder auf. »So heftig und so bestimmt.«
»Und noch dazu gegen Phemi«, setzte Franziska lachend hinzu. »Phemi selbst aber wird mir am ehesten verzeihen. Ich konnte nicht anders und habe nun mal einen tiefen Widerwillen dagegen. Unser ganzes Leben ist eine Kette von Gnaden, aber als der Gnaden größte bedünkt mich doch die, daß wir nicht wissen und nicht wissen sollen, was der nächste Morgen uns bringt. Und weil wir's nicht wissen
sollen
, sollen wir's auch nicht wissen
wollen.
«
»Auch nicht einmal im Scherz, im Spiel?«
»Auch nicht einmal im Spiel. Denn es ist ein Spiel mit Dingen, die nicht zum Spielen da sind. Ich muß es wiederholen, ich hasse jede Neugier, die den Schleier von dem uns gnädig Verborgenen wegreißen will; aber am meisten widerstreitet mir doch die Neugier, die nicht einmal ernsthaft gemeint ist. Es gibt der tückischen Mächte genug, und ihre listig lauernde Feindschaft auch noch durch Spiel und Spott herausfordern zu wollen tut nie gut und ist der Anfang vom Ende.«
Der Graf schwieg.
Bald darnach aber trennte man sich vor Phemis und Franziskas Veranda, bis wohin die Gräfin in Artigkeit gegen die jungen Damen diese begleitet hatte.
Siebentes Kapitel
Am andern Morgen saßen beide Freundinnen eine halbe Stunde früher als sonst in der Veranda, deren Leinwandvorhänge nach der einen Seite hin halb zurückgezogen waren, während gegenüber, wo die Vorhänge fehlten, eine Hängematte hing, in der sich Lysinka schaukelte.
Sie war in ein Bilderbuch vertieft und überließ deshalb, ohne wie sonst wohl zuzuhorchen, die beiden Damen ihrem Gespräche, das sich selbstverständlich um die Partie vom Tage vorher drehte. Dann aber entstand eine Pause, bis Franziska plötzlich und mit einiger Befangenheit fragte: »Sagtest du nicht, daß die Belmonti geschrieben habe?«
»Ja.«
»Und daß sie sich Lysinka zurückerbeten?«
»Ja.«
»Und willst du nicht darauf eingehen? Offen gestanden, ich glaube, daß die Belmonti recht hat und daß du diese Ferien länger ausdehnst, als dem Kinde gut ist.«
Phemi lachte herzlich, dann aber sagte sie: »Ja, Fränzl, es hilft dir nichts, du mußt nun schon deutlicher mit der Sprache heraus. Denn du wirst mir doch nicht wirklich und ernsthaft einreden wollen, daß du Lysinkas halber Erziehungssorgen hättest. Ich würde glauben, du wolltest sie los sein, wenn ich nicht umgekehrt wüßte, daß du sie fast so gern hast wie Hannah. Also beichte.«
Franziska sah verlegen vor sich hin, und Phemi, der ihre
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