Graf Petöfy
wiederholt, daß ein Schützenplatz ohne Wahrsagerei gar nicht möglich und die vorhin gesehene schwarze Frau mit dem Kind an der Brust aller Wahrscheinlichkeit nach die Lenormand dieses Kreises gewesen sei. Sie habe durchaus auch die Requisiten dazu gehabt: einen stechenden Blick und einen falschen Scheitel. Und das dritte sei eben dieser Rabe. Übrigens käme die Wahrsagerei wieder in Mode, was auch gut und erklärlich sei, denn je freier der Mensch werde, desto nötiger werd ihm der Hokuspokus.
Graf Pejevics, der gerade vornehm genug war, um ungestraft liberalisieren zu können, wollte demgemäß widersprechen, aber Phemi ging mit Hülfe von Spiritismus und Amerikanismus, zwischen denen sie gleichzeitig auch allerlei natürliche Zusammenhänge finden wollte, sofort zu Beweisen über und zeigte sich dabei so beredt und zeitungsbelesen, daß man den ansteigenden Talweg bereits halb hinauf war, als der Anblick des jetzt in gleicher Höhe mit ihnen fahrenden Hotelwagens ihren Vortrag momentan unterbrach.
»Ah, die Gräfin!« Und sie grüßte mit ihrem Tuch über die tiefe, mit Tannen besetzte Schlucht hinweg.
»Phemi!« sagte Franziska.
Phemi nahm aber den Tadel, der sich darin ausdrückte, nicht an und sagte nur lachend: »Ich weiß schon, was ich tu. Frage nur Graf Pejevics. Man muß die vornehmen Leute nicht immer daran erinnern, daß sie vornehm sind.« Und dabei winkte sie ruhig weiter. »Übrigens laß dir sagen, Schatz, daß das alles nur uraltes Sommerfrischen- und Badevorrecht ist. In der Stadt rückt sich's leicht wieder zurecht.«
Eine Viertelstunde später waren unsere drei Fußgänger glücklich oben, und als gleich darnach auch der Wagen erschien, hatte Phemi bereits einen Platz gefunden, der jeden erdenkbaren Vorzug in sich vereinigte: temperierte Sonne, Schutz vor Wind und Zug und einen wundervollen Blick in die Landschaft.
»Wie schön!« sagte die Gräfin, und Franziska gab ihr ein Mäntelchen um, während Egon ein Kissen aus dem Wagen und Graf Pejevics eine Fußbank herbeiholte. »Hier bleiben wir, nicht wahr, und schonen unsere Kräfte? Wenn man das Gute hat, muß man das Bessere nicht auf allerlei Gefahr hin haben wollen. Und nun, Egon, mache den Wirt; oder besser noch, Fräulein Phemi. Zu der hab ich ein Vertrauen und bin ganz sicher, daß sie nicht bloß den artigsten und raschesten Kellner, sondern auch den besten und frischesten Kuchen für uns entdecken wird.«
Und nun kamen heitere Stunden oben auf dem Aussichtspunkte, schön und heiter auch für Franziska, die das Berg- und Burgenpanorama noch nicht kannte, darunter Schlösser und Türme, die seit der Türkenzeit in Trümmern lagen. Am meisten interessierte sie die Ruine von Schloß Merkenstein, und Graf Egon, der landeskundig war, erzählte von einer rätselvollen Buchstabeninschrift: »O. H. I. N. N.«, die sich bis diesen Tag an dem stehengebliebenen Portal der Burgruine befinde. Phemi, die sich mitunter auf die Wissenschaftlichkeit hin ausspielte, wollte die Bedeutung davon für ihr Leben gern erraten und ruhte nicht eher, bis ihr Egon die Buchstaben ins Notizbuch geschrieben und schließlich, als alles Raten umsonst geblieben, die Versicherung gegeben hatte, daß nur der Wiener Witz bis dato die Deutung dafür gefunden habe.
»Welche?« fragte das Fräulein neugierig.
»Oesterreich Hinkt Immer Noch Nach.«
Und nun gab es ein norddeutsch übermütiges Lachen von seiten der beiden jungen Damen, das erst schwieg, als sie halb erschrocken einen spöttisch superioren Zug um den Mund der beiden Grafen spielen sahen. Aber Phemi witzelte rasch die kleine Verstimmung fort, und Graf Pejevics, der erst wenige Tage wieder aus England zurück war, wohin er sich der Rennen halber begeben hatte, wurde jetzt eindringlich gebeten, über seine Reise zu berichten, ganz besonders auch von seiten der alten Gräfin.
»Ich bin halb von englischer Extraktion«, sagte diese. »Meine Mutter war eine Howard und meiner Mutter Mutter eine Talbot.«
»Eine Talbot!« wiederholte Phemi mit einem beinahe komisch wirkenden Ernste, dem man es deutlich anhörte, daß die halbe »Jungfrau von Orleans« an ihrem inneren Auge vorüberzog.
»Aber trotz dieser nahen und nächsten Beziehungen«, fuhr die Gräfin fort, »war ich nie dort. Ich hab eine Scheu vor der Überfahrt und höre jedesmal zu meinem Troste, daß es keinen schlimmeren ›Pas‹ geben soll als den Pas de Calais. Indessen, wenn ich auch niemals dort war, ich höre doch gern davon. Alles ist
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