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Graf Petöfy

Graf Petöfy

Titel: Graf Petöfy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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übrigens niemanden in Verwunderung setzen werde, der das Übergewicht der Vorstellung über die Wirklichkeit irgendeinmal an sich selbst erfahren habe. Das fait accompli bedeute gemeinhin nicht viel, aber in der Erwartung der Dinge liege Himmel und Hölle. Das habe sich ihm in den Tagen seiner Phantasiebeschäftigung mit dem Trouviller Badestrand auch wieder recht fühlbar gemacht. Er habe nichts gegen Urzuständlichkeiten, und das letzte, woran er kranke, sei Prüderie, ja das Paradiesische, das Mittelafrikanische, das Mythologische, gleichviel, welcher Ausdruck seitens der Damen bevorzugt werde, werde niemals von ihm beanstandet werden; aber er hasse die Mischgattungen und müsse statt ihrer auf Einheit und Reinheit des Stiles dringen. Jeder ehrlich gemeinte Versuch, das alte Theatervorhangthema: Neptun und Arion samt dem ganzen Corps de ballet der Weltmeere, zu neuem, wirklichen Leben erblühen zu lassen, dürfe seiner Zustimmung ein für allemal sicher sein, aber verschämte Halbzustände, Zustände, die nicht Fisch und nicht Vogel seien, hätten diese seine Zustimmung mit gleicher Entschiedenheit nicht. Und so dürfe er sich denn allerdings berühmen, ausschließlich unter der Wucht ästhetischer Bedenken einen fluchtartigen Rückzug aus Frankreich angetreten zu haben.
    Während er so sprach, war Lysinka neugierig aus ihrer Hängematte herausgekrochen und stellte sich ohne jede Spur von Verlegenheit mit an den Tisch, ganz so, wie verwöhnte Kinder zu tun pflegen. Ihr Auge ging dabei beständig umher und sah jeden einzelnen wie fragend und doch auch wieder halb verständnisvoll an. Es war ersichtlich, daß sie dem alten Grafen, der unwillkürlich seine Hand über ihr langes blondes Haar hingleiten ließ, ungemein gefiel; ehe er aber eine Frage zu tun imstande war, sagte Phemi, die mit Franziskas aufsteigender Verlegenheit ein Mitleid haben mochte: »Das war nun also Trouville, Herr Graf. Und nun Paris, Paris, von dem ich so gerne höre, das mein Ideal und meine Sehnsucht war von Kindheit an und das ich schon um meiner Kunst willen so gern gesehen und befragt und studiert hätte. Ja, wirklich, um meiner Kunst willen. Eine reizende junge Kollegin von mir, natürlich Liebhaberin, phantasierte neulich sogar von der Heiligkeit ihrer Kunst. Es war komischer als Tewele. Doch ich verirre mich von der Hauptsache, von Paris, über das wir, nicht wahr, Fränzl, um so lieber berichten hören, als uns Graf Pejevics gestern erst von London erzählt hat.«
    »Und wie fand er London?«
    »Er klagte, daß alles zu schwer sei, sogar die Träume.«
    »Je nun«, lachte der Graf, »die sind heuer auch in Frankreich gerade schwer genug. Es sind Rüstungs-und Waffenträume, Vierundzwanzigpfünder mit der Aufschrift ›Revanche‹. Ja, die Franzosen sind und bleiben Kinder. Aber so schwer ihre Träume sind, so leicht ist ihr Leben nach wie vor, und ich habe keinen Unterschied entdecken können zwischen sonst und jetzt. Das entkaiserte Frankreich, um Fräulein Phemis Wort zu wiederholen, ist nicht entzaubert. Und warum nicht entzaubert? Weil es zu den Vorzügen oder meinetwegen auch zu den Schwächen dieses Volkes gehört, im steten Wechsel der Dinge sich selbst immer gleichzubleiben. Ich habe es nun unter einem halben Dutzend widerstreitender Regierungen im wesentlichen ohne jede Veränderung gesehen und möchte mich fast verwetten, daß es auch dasselbe war, als die Trikoteusen um die Guillotine herum saßen und schnupften und plauderten und Strümpfe strickten. Es ist ein Phantasievolk, dem der Schein der Dinge vollständig das Wesen der Dinge bedeutet, ein Vorstellungs- und Schaustellungsvolk, mit einem Wort, ein Theatervolk.«
    »Wie die Wiener?«
    »O nicht doch, meine Gnädigste. Die Wiener sind ein Vergnügungsvolk und gehen ins Theater, um unter Lachen und Weinen sich etwas vormachen zu lassen, aber auch der Passionierteste fühlt sich schließlich auf seinem Parkett- oder Parterreplatz immer noch wie zu Gast. Anders der Franzose. Der ist da zu Hause, füllt die Hälfte seines Daseins mit Fiktionen aus, und wie die Stücke sein Leben bestimmen, so bestimmt das Leben seine Stücke. Jedes ist Fortsetzung und Konsequenz des andern, und als letztes Resultat haben wir dann auch selbstverständlich ein mit Theater gesättigtes Leben und ein mit Leben gesättigtes Theater. Also Realismus! Auf der Bühne gewiß, aber auch weitergehend in der Kunst überhaupt. Welche Lust, ein französisches Schlachtenbild zu sehen, auf dem die Säbel

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