Grafeneck
möglich. Ich wollte fragen, ob Sie mich zu der Leiche führen könnten.«
»Da brauchen Sie andere Klamotten als die da«, sagt Mauser und schiebt den Teller von sich.
Greving nickt. Lächelt. »Die hab ich in meinem Zimmer.«
»So so«, sagt Mauser, als er aufsteht und den Teller mit dem Brot in den Kühlschrank stellt. »Haben die in Reutlingen dem Waiblinger also nicht geglaubt.«
»Das würde ich nicht sagen. Ein Spezialkommando des Bundesgrenzschutzes zu ordern, kann nun einmal nur ein Kommissar. Darf ich Sie fragen, aus persönlicher Neugierde, was Sie beruflich machen?«
»Warum wollen Sie das wissen?«
»Zum einen, weil ich mich frage, warum Sie mitten in der Woche zu Hause sind. Zum anderen, weil Sie sich mit Höhlen auskennen.«
Mauser lacht und würde dem Mann gerne auf die Schulter schlagen. Hätte er eine Jacke an oder so was, würde es gehen. Aber so einen blauen Anzug kann man nicht auf die Schulter schlagen. Mauser erzählt ein bißchen von seinem Lehrerberuf, wie lange er schon hier in Buttenhausen ist, von Heimatkunde und Höhlenbefahrungen.
»Ich kenn jedes Loch hier in der Gegend«, erzählt Mauser.
»Und was fasziniert Sie daran?«
»Die Dunkelheit«, antwortet Mauser. »Das ist eine ganz andere Welt. Da ist einer ganz allein im Bauch der Erde. Weiß nie, was ich zu sehen krieg«, sagt Mauser und zuckt die Schultern. »Eigentlich ist’s immer das gleiche: Dreck und Steine. Aber, wissen Sie, die Steine erzählen Geschichten …«
»Haben Sie die Kammer schon gekannt, in der Sie die Leiche gefunden haben?«
»Nein. Hab den Schluf erst freigraben müssen. Aber das hat Ihnen sicher der Waiblinger erzählt.«
Greving nickt, lächelt unsicher. »Kann sein, jaja. Sie wußten also gar nicht, daß es diese Kammer gibt?«
»Nein. Warum?«
»Dann haben Sie ja eine richtige Entdeckung gemacht mit dieser Kammer. Das passiert sicher selten.«
»Na ja, wie man’s nimmt. Die meisten Höhlen sind längst erforscht und verzeichnet. Die wenigen, an denen noch geforscht wird, sind alles Wasserhöhlen. Dazu braucht man Tauchgerät. Fürs Tauchen bin ich nicht so arg, wissen Sie.«
»Verzeichnet? Sie meinen, jede Höhle ist irgendwo aufgeschrieben?«
»Im Höhlenkataster. Und in den Höhenflurkarten, da finden Sie alle. Wissen Sie, die Höhlenerforschung hat bei uns im neunzehnten Jahrhundert erst so richtig angefangen. Die großen Schauhöhlen, die sind natürlich bekannt. Die Bärenhöhle, oder die Nebelhöhle. Aber die kleinen Löcher, die haben sie –«
»Höhlenkataster? Interessant.«
»Immerhin«, meint Mauser und weiß, daß er zu viel redet, weiß, daß er den Mund halten sollte und diesem Kommissar aus dem Unterland nichts erzählen, »deutet der Name der Höhle darauf hin, daß einer die Kammer früher gekannt haben muß.«
»Inwiefern?«
»Na, Lehmkammerhöhle!«
»Könnte damit nicht eine andere Kammer in der Höhle gemeint sein?«
»Schauen Sie sich’s selber an. Zieh mich nur noch gleich um.«
Der Kommissar fährt in seinem Wagen Mauser auf seinem Moped hinterher. Zum zweiten Mal führt Mauser einen anderen in die Höhle. Waiblinger hat ganze Arbeit geleistet und den Berg weiträumig abgesperrt. Er wartet in seinem Streifenwagen am gewohnten Parkplatz, geht aber nicht mit zu der Höhle. Mauser schaut unauffällig auf die Uhr. Wenn er den Kommissar zügig zum Fundort bringt, kann er es bis heute Abend schaffen. Auch wenn die Höhle jetzt ein Schauplatz ist. Komisch, sich ihr zu nähern hinter der Absperrung. Vorher bloß ein zufälliges Loch im Fels, und jetzt der Ort eines Verbrechens. Er hätte den Fund nicht melden sollen. Es hätte seine Leiche bleiben sollen, und Mauser, der Lehrer von Buttenhausen, auf der Suche nach deren Geschichte. Der Kommissar hat sich umgezogen und nähert sich der Höhle zaghaft. Bückt sich in den Eingang. Klaustrophobie. Da wird er was erleben, denkt Mauser. Drinnen geht er voraus und leuchtet. Greving bewegt sich vorsichtig und leise. Wie um jemanden, der dort haust, nicht zu stören. Mauser kommt es vor, als wühlten sie die tote Zeit auf wie einen Haufen Asche. Es flirrt in der Luft, auch wenn das bloß der trockene Höhlenlehm ist.
»Klassisches Schlüssellochprofil«, sagt Mauser und leuchtet den Gang aus, in dem sie gekrümmt stehen. »War früher von Wasser durchflossen, und der Druck hat das Gestein stabil gehalten. Als der Karstwasserspiegel gesunken ist, ist das Gestein nachgebrochen. Da sehen Sie noch die Gesimse. Da ist das Wasser
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