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Grafeneck

Titel: Grafeneck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Gross
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durchgeschossen wie in einem Rohr.«
    »Interessant«, meint Greving. Er schaut sich an, was Mauser ihm zeigt. Läßt sich erklären. Der ist anders als der Waiblinger, denkt Mauser. Der will was wissen. Der will auch die Geschichte herausfinden. Und er fängt vorne an.
    An der Wasserstelle schafft es Greving, nicht naß zu werden. Er stützt sich auf die Hände und hebt das Becken, um die Knie trockenzuhalten.
    »Sie machen das gut«, sagt Mauser.
    Im Kriechgang hilft ihm Mauser. Er macht es ihm vor. Auf dem Bauch quetscht er sich in die Röhre hinein. Den linken Arm vorgestreckt, schiebt er sich mit den Füßen vorwärts. Der rechte Arm liegt am Leib an. Der Gang wird eng, der Stein klemmt ihn ein. Nun muß er sich winden und die Schultern abwechselnd vorwärtsschieben. Dann kommt der Querspalt, und Mauser steht vor ihm in der Südosthalle.
    »Strecken Sie zuerst einen Arm aus«, sagt er nach hinten zu Greving, »sonst kommen Sie mit den Schultern nicht durch.« Aber es geht gut, Greving windet sich wie ein Aal und schlüpft durch den Riß, ohne stecken zu bleiben. In der Halle zeigt ihm Mauser den ausgegrabenen Zugang zur Lehmkammer.
    »Oje!« meint Greving. »Das ist ja noch enger als gerade eben.«
    »Sicher. Und der Schluf macht am Ende einen Knick nach oben. Da müssen Sie sich auf den Rücken drehen.«
    »Ich glaube«, sagt Greving und wischt sich den Schweiß von der Stirn, »das reicht mir für heute.«
    »Wollen Sie die Leiche nicht sehen?«
    »Natürlich«, sagt Greving, »aber ich kann nicht. In dieses Loch krieche ich nur einmal. Zusammen mit dem Grenzschutzkommando.«
    »Schade«, meint Mauser.
    Greving setzt sich auf den Boden und atmet tief durch.
    »Fehlt Ihnen was?«
    Greving schließt die Augen und bemüht sich, seinen Atem zu beruhigen. Seine Hände halten sich aneinander fest. »Nein, nein«, sagt er. »Ich brauche nur einen Moment …«
    Mauser setzt sich zu ihm.
    »Erzählen Sie mir von der Lehmkammer«, bittet Greving.
    »Da gibt’s nicht viel zu erzählen. Ist vollständig mit Lehm ausgekleidet. Wie das kommt, weiß ich auch nicht. Vielleicht ist sie mal mit Lehm gefüllt worden und dann durch einen Wassereinbruch ausgewaschen. Der hat vielleicht den Zugang verstopft. Die Kammer hat keinen anderen Zugang.«
    »Wie kommt dann die Leiche dorthin?« fragt Greving, hält immer noch die Augen geschlossen. Die Hände zittern, verknäueln sich ineinander, als wollten sie sich erwürgen.
    »Fehlt Ihnen wirklich nichts?«
    »Bringen Sie mich wieder hier raus«, sagt Greving und öffnet die Augen. »Und erzählen Sie mir unterwegs, was Sie gesehen haben.«
    Ganz schön schlimm, denkt Mauser. Klaustrophobie. Kann’s in den kleinen Räumen nicht aushalten. Im Bauch der Erde. Ringsum meterdick Fels. Dunkelheit. Kann ich verstehen. Er erzählt, daß die Leiche vollkommen sauber war, der Anzug kein bißchen verdreckt. Keine Waffe, keine Kugel. Muß also anderswo erschossen worden sein.
    »Aber wie schafft man einen toten Menschen durch diese engen Gänge?« fragt Greving im Kriechgang. Er muß reden, um sich abzulenken. Erzählen Sie mir einen Witz, würde er am liebsten bitten. Seine Bewegungen sind jetzt fahrig und unvorsichtig. Er will raus, denkt Mauser.
    »Keine Ahnung.«
    »Haben Sie eine Idee, wie die Leiche da hineingekommen ist?« fragt ihn Greving, als sie wieder draußen sind. Greving atmet auf. Sein Gesicht ist schweißnaß. Aber er läßt sich nichts anmerken.
    Mauser zuckt mit den Schultern.
    »Ich meine, denken Sie darüber nach«, sagt Greving und säubert sich mit einem Stofftaschentuch die Hände. »Was für geologische Umstände kann es geben?«
    »Weiß nicht. Hab noch nicht drüber nachgedacht.«
    »Sie haben sich das noch nicht gefragt?«
    Mauser will weg. Der Kommissar hat die Leiche zwar nicht gesehen, aber schon wieder einer ist in das Geheimnis eingedrungen, das reicht für heute. Außerdem hat er es eilig, zu seinem Suchgerät zu kommen.
    »Sie sind doch der Höhlenkenner«, sagt Greving, als sie den Hang hinabklettern zum Parkplatz. »Sie müssen sich doch eine Erklärung dafür zurechtgelegt haben.«
    »So was braucht Zeit. Da muß einer zuerst mehr über die Höhle wissen. Das geht nicht so schnell.«
    Vor dem Streifenwagen verabschiedet sich Greving mit Handschlag. Da sie beide dreckig sind, macht das nichts. Von der Klaustrophobie ist nichts mehr zu merken. Jetzt könnte Mauser ihm auf die Schulter schlagen, jetzt, wo sie beide in der Höhle waren. Aber jetzt geht es nicht

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