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Grafeneck

Titel: Grafeneck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Gross
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mehr. Greving ist wieder der Kommissar, ein Mensch, den er nicht kennt. Ein Mensch, der sich seine Gedanken macht.
    »Ich wäre froh, wenn Sie mir Ihre Kenntnisse zur Verfügung stellen würden«, sagt Greving verbindlich und schüttelt die Hand. »Bei den Ermittlungen kann ich Ihre Hilfe brauchen. Gerade, wenn es um die Höhle geht. Was meinen Sie?«
    Mauser zuckt die Schultern. »Wenn Sie was wissen wollen, ich mein, was Spezielles, dann können Sie mich immer fragen. Aber mit der Leiche will ich nichts zu tun haben.«
    »Waiblinger hat mir gesagt, Sie seien heute schon einmal hier gewesen.«
    »Wegen der Höhle.«
    »Eben. Also, auf gute Zusammenarbeit!«
    Die Wagen fahren ab, Mauser schaut den beiden nach.
    Dann zieht er sich um und steigt auf sein Moped. Zu Hause tut er die dreckigen Kleider in die Wäsche und setzt sich in der Stube in den Sessel. Sitzt da, denkt nach. Über den Kommissar und über den Menschen in der Höhle. Schüttelt den Kopf. Zusammenarbeit. Das geht nicht. Was hat der Mensch mit Vater zu tun? denkt er. Ich muß die Geschichte allein rauskriegen.

6
    Mauser packt das Suchgerät ein, draußen geht die Sonne unter. Die Dämmerung ist noch nicht hereingebrochen, die Amseln singen noch nicht. Er fährt von hinten heran, auf einem gesperrten Waldweg, und stellt das Moped ab. Der Wald ist licht, er findet den Weg und kommt gerade über der Höhle heraus. Er steht vor Waiblingers Absperrung und lacht. Dann bückt er sich darunter hindurch und geht weiter. Bis nach vorn, wo die Felsen abfallen.
    Hier, denkt er. Hier haben sie ihn erschossen.
    Als er den Haltegriff mit der Verlängerungsstange an der Spule anbringt, spürt er eine Beklommenheit. Ein Geheimnis hier, denkt er. Plötzlich ist da etwas im Leben, das man herausfinden muß. In unserem Dorf, sagen die Buttenhausener, hat’s keinen Nazi gegeben. Die Hundersinger verleumden uns. Was soll das mit den Busfahrern? Sicher, irgendwer muß die Busse gefahren haben, die grauen Busse, deren Fenster weiß gestrichen waren, damit man nicht hineinsehen konnte. Vater hat sich geweigert, die Juden zu verhaften. Das mußten sie alles selbst machen. Aber wie sie gekommen sind, um Mutz zu holen, da weiß ich nicht, was er gemacht hat. Vielleicht hat er wieder die alte Pistole gezogen, seine Widerstandswaffe, sein Überbleibsel aus dem Kaiserreich. Vielleicht hat er sie bedroht, aber da hat keiner in die Hose gepinkelt vor Angst. In den grauen Bus haben sie sie gesteckt und sind dann abgefahren. Und zwei Tage später Mutter tot im Keller, zwischen Zwiebeln und Kartoffeln, aufgehängt. Und daß ich sie gefunden hab, das Gesicht verzerrt und blau. Das alles steckt in der Lehmkammer. Eine Angstkammer. Das alles trägt dieser tote Mensch bei sich. Man braucht es bloß zu finden, zu entziffern. Das mach ich, denkt Mauser. Deshalb bin ich hier.
    Das Gerät gibt ein leises Knattern von sich. Nur wenn es zu einem schrillen Pfeifen wird, bedeutet es etwas. Er führt die Spule behutsam über den Waldboden, Stück für Stück. Hält es in die Ritzen zwischen den Felsen. Ins Moos. Manchmal reagiert es auf Wasser im Boden, aber das kennt Mauser schon. Das kann er unterscheiden. Vorn an den Felsen hat er jetzt alles abgesucht und wendet sich nach links. Jetzt muß er genau über dem Eingang zur Höhle sein.
    Das Gerät schlägt an.
    Im Wald ist es dämmrig geworden.
    Die Bäume stehen und schauen ihm zu. Sie wissen, was geschehen ist. Sie wissen alles, aber niemand kann sie fragen. Der Fels weiß es, die Bäume, die sich leise im Abendwind regen.
    Mauser leuchtet mit der Taschenlampe und macht die Stelle genau aus. Er legt das Gerät zur Seite und wischt mit den Fingern über den Boden. Behutsam. An der Oberfläche ist nichts zu finden. Er nimmt sein Taschenmesser und trägt vorsichtig die oberste Humusschicht ab. Schon stößt das Messer an etwas Metallenes. Mit der Spitze der Klinge hebelt er etwas aus dem Boden.
    Es ist eine Patronenhülse.
    Na also.
    Er steckt sie in einen Plastikbeutel und sucht weiter.
    An einem Felsklotz schlägt das Gerät zum zweiten Mal an. Diesmal findet er tatsächlich die Kugel. Er schaut sie sich im Licht der Lampe an. Ein seltenes Kaliber. Sie ist verrostet wie die Hülse, aber zu Hause kann er sie in einem Bad und mit der Zahnbürste säubern. Er hat die Kugel in der Handfläche liegen wie einen Edelstein. Diesmal ist es anders, weiß er. Diesmal ist es kein Hufnagel oder Spinnwirtel oder sonst etwas, das ins Museum gehört. Diesmal ist

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