Gralszauber
aus?« Dagda schrie ihn fast an.
»Denke genau nach! Hatte er Artus’ Augen? Sprich!«
Artus’ Augen? Im ersten Moment wollte Dulac einfach
nur mit einem Lachen auf diese Frage antworten. Wie
konnte jemand Artus’ Augen haben? Aber dann versuchte
er konzentriert Mordreds Gesicht vor seinem inneren Auge auferstehen zu lassen, und je länger er darüber nachdachte … Ja, ganz zweifellos, da … war etwas gewesen.
Nicht einmal das Aussehen. Aber da war irgendetwas in
Mordreds Blick gewesen. Etwas, das ihn tatsächlich an
König Artus erinnerte, auch wenn er es vorhin gar nicht
richtig begriffen hatte. Er antwortete nicht, aber sein
Schweigen schien Dagda als Antwort durchaus zu genügen.
»Also war er es wirklich«, murmelte Dagda. Er klang …
erschüttert. »Gott möge uns beistehen. Er ist zurück.«
»Wer ist zurück?«, fragte Dulac verwirrt. »Mordred? Ihr
kennt diesen Mann?«
»Kennen?« Dagda lachte bitter. »O ja und ob ich ihn
kenne. Artus kennt ihn auch, auch wenn er es im Moment
noch gar nicht weiß. Ich habe gewusst, dass er eines Tages
kommen wird … aber warum ausgerechnet jetzt?«
Er schüttelte ein paar Mal den Kopf und drehte sich
dann herum, um zu seinem Kessel zurückzugehen. Er
wirkte plötzlich sehr müde.
»Ihr … kennt ihn«, sagte Dulac zögernd. »Ihr habt gewusst, dass er kommen wird?«
»Ja«, murmelte Dagda.
»Wer ist dieser Mann?«, fragte Dulac. Sein Herz klopfte. »Warum erschreckt er Euch so sehr?«
»Weil er große Gefahr bedeutet«, antwortete Dagda, ohne sich zu ihm herum zu drehen. »Er wird großes Unheil
über Camelot bringen. Und für Artus vielleicht den Tod.«
»Den Tod?« Dulac erschrak zutiefst. »Das … das meint
Ihr nicht ernst!«
»Ich habe nie etwas ernster gemeint«, antwortete Dagda.
»Es steht geschrieben, dass es so und nicht anders kommen wird.« Er sah Dulac voller Trauer und Schmerz an.
»Es wird Mordred sein, von dessen Hand König Artus den
Tod empfängt.« Er schüttelte müde den Kopf. »Und ich
werde nicht da sein um ihm beizustehen.«
»Wieso?«, fragte Dulac.
»Weil ich sterbe, du Dummkopf«, antwortete Dagda.
»Ihr sterbt?« Dulac riss entsetzt die Augen auf, aber
Dagda machte eine besänftigende Geste mit der rechten
Hand. Mit der anderen griff er nach der Kelle und rührte
wieder heftig im Suppentopf um.
»Nicht jetzt«, sagte er. »Nicht diese Woche und vielleicht nicht einmal dieses Jahr. Aber sieh mich an! Ich bin
ein alter Mann. Meine Kräfte schwinden. Ich werde krank
und schwach. Ich vergesse immer mehr und manchmal
habe ich Mühe, mich an das Rezept meiner Suppe zu erinnern, obwohl ich sie seit zwanzig Jahren jeden Tag koche!
Bald werde ich nicht mehr da sein, um Artus in seinem
Kampf beizustehen. Dabei würde er mich gerade jetzt am
dringendsten brauchen.«
»Dann müsst Ihr ihn warnen«, sagte Dulac. Er spürte eine Art Erleichterung. Dagdas Worte hatten ihn bis ins Innerste erschreckt, aber im Grund sagten sie ihm nichts
Neues.
Dagda war alt, wirklich uralt. Er war der älteste Mensch,
den Dulac jemals getroffen hatte, und natürlich würde er
irgendwann einmal sterben. Niemand lebte ewig.
»Warnen?«, fragte Dagda leise. »Aber wovor denn?«
»Vor Mordred«, antwortete Dulac verständnislos. »Davor, dass er ihn töten wird!«
»Vor Mordred …« Dagda lächelte bitter. »Aber wie
könnte ich das, mein junger Freund? Sag mir: Wie soll ich
meinem König sagen, dass sein eigener Sohn zurückgekommen ist um ihn zu vernichten?«
Dagda hatte ihm für den Rest des Tages frei gegeben, aber
Dulac war von allem, was er an diesem Tag erlebt und vor
allem erfahren hatte, noch so durcheinander, dass er sich
nicht wirklich darüber freuen konnte. Während er in gemächlichem Tempo zum Gasthaus zurückging, wurde ihm
schmerzhaft bewusst, dass er eigentlich kaum etwas wusste – von Camelot, König Artus und den Tafelrittern, von
der Geschichte der Burg und Dagda, ja, sogar von sich
selbst. Er wusste nicht einmal, wie alt er war. Ebenso wenig, wie er wusste, wo er herkam, wer seine wirklichen
Eltern waren und wie sein richtiger Name lautete. Solange
er sich erinnern konnte, lebte er bei Tander, dem Besitzer
des einzigen Gasthauses in Camelot.
Dagda hatte ihm erzählt, dass König Artus selbst und einige seiner Ritter vor gut zehn Jahren an einem kleinen
See vorbeigekommen waren, an dessen Ufer sie eigentlich
nur eine kurze Rast einlegen und die Pferde tränken wollten.
Dann aber hatten sie das Weinen eines
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