Grand Cru
die große Karte, achtete aber darauf, der fülligen Frau nicht allzu nahe zu kommen. Denn als einziger Junggeselle in der
mairie
konnte er vor ihren Flirtattacken nicht sicher sein. Wie aus Gewohnheit und selbst dann, wenn sie schlechte Laune hatte, schmachtete sie ihn an und klimperte dabei mit den Wimpern.
Er fuhr mit dem Finger die Straßen nach, die er in der Frühe eingeschlagen hatte. Da war der Funkmast und dort der Wasserturm. Die Wasserleitung musste also an diesem Weg entlang verlaufen. Bis hierher, murmelte er vor sich hin und drückte mit dem Zeigefinger auf die Stelle, überzeugt davon, das richtige Flurstück gefunden zu haben. Aber Claire hatte recht. Auf der Karte war kein Gebäude eingetragen. Das war nicht nur seltsam, sondern auch unstatthaft: Für den Schuppen hatte es offenbar nie eine Baugenehmigung gegeben. Und da es eine Wasserleitung samt Standrohr gab, schien die Kommune außerdem um die jährliche Wasserrechnung betrogen worden zu sein. Wie dem auch sei, Bruno kannte jetzt die Flurstücknummer. Er ließ Claire die Karte aufrollen und ging in die sogenannte Registratur, einen kleinen, vollgestopften Raum, wo er mit Hilfe des Grundsteuerregisters den Namen des Eigentümers bald gefunden hatte.
Es handelte sich um eine
société anonyme,
eine Aktiengesellschaft namens Agricolae mit eingetragenem Firmensitz in Paris. Das Flurstück war vor drei Jahren vom Verteidigungsministerium erworben worden. Agricolae - das war der Name auf dem Blechschild, das Bruno vom Boden aufgehoben und in Alberts Feuerwehrjacke gesteckt hatte. Aus den Unterlagen ging auch hervor, dass für das Grundstück nie Wassergeld oder Steuern bezahlt worden waren und dass es für den Schuppen tatsächlich keine Baugenehmigung gegeben hatte. Diesem Unternehmen namens Agricolae stand Ärger ins Haus. Er wollte gerade zum Hörer greifen, um Albert anzurufen, als Claire den Kopf durch die Tür streckte und ihm mitteilte, dass er Besuch habe.
»Gleich nach dem Bürgermeister der wichtigste Mann von Saint-Denis, und doch mutet man ihm dieses schäbige Loch als Büro zu«, ließ Commissaire Jean-Jacques Jalipeau verlauten, der für das
département
zuständige Chefinspektor der
police nationale.
Er setzte einen kleinen Schritt in das Zimmer, und schon schien es in Gänze ausgefüllt zu sein.
»Himmel, Sie sehen schrecklich aus, ganz rot im Gesicht. Und wo sind Ihre Augenbrauen geblieben?«, fuhr Jean-Jacques fort. »Sie haben das Feuer doch wohl nicht selbst gelegt, oder?«
»War nur ein bisschen zu nah dran«, entgegnete Bruno und lächelte seinem Kollegen zu. »Wenn ich den erwische, der da gezündelt hat... «
Bruno mochte Jean-Jacques, auch wenn der ihm immer wieder vorwarf, eine Berufsauffassung zu vertreten, die weniger dem
code criminel
diene als den Interessen von Saint-Denis - womit er durchaus recht hatte. Die beiden hatten schon in mehreren Fällen zusammengearbeitet und nach erfolgreichem Abschluss ihrer Ermittlungen jedes Mal fürstlich miteinander getafelt. Bruno führte ihn durch das uralte Treppenhaus der
mairie
nach unten auf die Straße und durch die Arkaden in Fauquets Café, wo sie sich zwei Ricards bestellten.
»Wie geht es Isabelle?«, fragte Jean-Jacques. »Sie wird irgendwann demnächst ihren neuen Job in Paris antreten.« Isabelle hatte unter ihm als
inspectrice
in der Polizeizentrale in Périgueux gedient, ehe sie ihrer Karatefähigkeiten und schönen Augen wegen zuerst dem Innenminister und dann auch der
Paris-Match
aufgefallen war. Mit wohlgefälligem Interesse hatte Jean-Jacques Anteil an der Affäre genommen, zu der es im Sommer zwischen ihr und Bruno gekommen war, und sich selbst damit geschmeichelt, die beiden zusammengebracht zu haben.
»Sie ist schon weg«, sagte Bruno und versuchte, einen neutralen Tonfall anklingen zu lassen. »Der Minister tritt eine Auslandsreise an und will, dass sie ihn und seine Delegation begleitet.«
»Tja, dass sie irgendwann mal geht, war ja abzusehen«, sagte Jean-Jacques. »Immerhin hattet ihr drei schöne Monate.«
Bruno nickte. Das Wissen um die begrenzte Dauer ihrer Zweisamkeit und der Umstand, dass ihr der Karrieresprung nach Paris wichtiger war als das, was sie für Bruno empfand, hatten die Beziehung zunehmend belastet. Während der schlaflosen Nächte ihrer letzten gemeinsam verbrachten Woche hatte er spüren können, wie sich sein seit Jahren gepflegter Schutzwall, der von Isabelle nach und nach abgetragen worden war, wie von selbst wieder aufrichtete.
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