Grand Cru
inmitten aufschießender Flammen zu Boden gegangen war. Er hatte immer noch Angst vor Feuer. Unter seinem Sattel zuckte die graue Stute, als hätte sie seinen plötzlichen Stimmungsumschwung bemerkt. Pamela behauptete, dass Pferde ein überaus feines Gespür hätten. Er beugte sich vor und tätschelte den breiten Nacken.
»Schon gut, Victoria. Es war bloß eine Erinnerung«, sagte er. Das Pferd blieb ruhig stehen und ließ geduldig zu, dass Gigi an seinen Hufen schnupperte. Es hatte sich bereits an den Hund gewöhnt. Bruno brauchte länger zur Eingewöhnung und fühlte sich beileibe noch nicht wohl dabei, auf einem Tier zu sitzen, das ihm jetzt sehr viel größer und kräftiger vorkam als in seiner Stallbox, so hoch oben im Sattel, dass er weit über das Feld hinausblicken konnte.
»Hier hat alles angefangen«, sagte Pamela und brachte Bess an seiner Seite zum Stehen. »In einem alten englischen Sprichwort heißt es: Roter Himmel am Morgen bereitet dem Schäfer Sorgen. Erinnerst du dich an die gewaltige Glut?«
»Ja. Und ich erinnere mich an den Hut, den du zur Adoptionsfeier getragen hast. Cresseil sagte, du erinnertest ihn an seine Annette. Er hatte recht. Du siehst ihr ein bisschen ähnlich. Ich habe sie auf alten Fotos gesehen.« Er schaute sie an. »Nur dass du schöner bist.«
Sie lächelte ihn an. »Hüte dich, mich zu küssen. Denk an das, was passiert ist, als du es das letzte Mal versucht hast.«
Bess war genau in dem Moment zur Seite gewichen, als er, zu Pamela hinübergebeugt, Übergewicht bekommen hatte und aus dem Sattel gerutscht war, und hätte sie ihn nicht noch im letzten Augenblick am Arm festgehalten, wäre er wahrscheinlich nicht aufs Hinterteil, sondern womöglich auf den Kopf gefallen.
»Ich glaube, Bess ist eifersüchtig auf mich«, sagte er und grinste.
Pamela schüttelte den Kopf. »Vielleicht weißt du's noch nicht, aber Pferde haben Humor. Bist du bereit zu einem leichten Galopp?«
»Gleich, vielleicht«, antwortete er. »Meine Schenkel sind wund, und mir ist, als hätte ich mir alle Haare von den Beinen geschabt.«
»Du sitzt immer noch zu verkrampft. Aber nicht verzagen. Sobald du ein bisschen mehr Vertrauen gefasst hast, wirst du locker und entspannt sein können.« Sie wechselte plötzlich den Tonfall und fragte: »Ich nehme an, du weißt, was heute über Jacqueline in der Zeitung stand.«
Er nickte. Sie war nach Québec zurückgekehrt, um dort ihre Haftstrafe abzusitzen.
»Mit neun Monaten ist sie ganz gut weggekommen«, meinte Pamela.
»Die Anklage war recht zurückhaltend mit ihrem Plädoyer auf Rechtsbehinderung, Manipulation von Beweismitteln, Falschaussage und unterlassener Hilfeleistung. Der Richter hätte ihr mehr aufbrummen können, war aber gnädig, zumal sie Reue gezeigt hat. Ihre Schilderung der Szene im Fass klang romantisch und schaurig zugleich. Eine schöne junge Frau, durch eine tragische Familiengeschichte aus der Bahn geworfen. Wahrscheinlich hätte sie den teuren Anwalt, der ihr von den Eltern zur Seite gestellt worden ist, gar nicht gebraucht.«
»Nächsten Sommer wird sie wieder frei sein«, sagte sie.
»... und womöglich erst dann richtig büßen müssen«, entgegnete Bruno. »Die erhoffte Karriere im Weingeschäft kann sie sich abschminken. Vielleicht findet sie einen Job auf dem Weingut ihrer Eltern, aber einen Château Jacqueline wird es nie geben. Mit ihrem Namen kommt sie nicht weit. Und wer weiß, wie lange sie noch an der Niederlage gegenüber Bondino zu knacken hat? Der Familienkrieg ist vorbei. Er hat gewonnen.«
»Dein Gerechtigkeitssinn ist sehr eigenwillig, Bruno«, sagte sie. »Komm, galoppieren wir ein wenig...«
»Psst...«, flüsterte er und deutete mit ausgestreckter Hand auf ein Gebüsch am Rand des Feldes. Gigi starrte in die gezeigte Richtung. Er hatte einen Vorderlauf angehoben, die Schnauze nach vorn gereckt und bewegte nur die feuchte Nase. Pamela sah nichts, aber plötzlich flatterte aus dem Gebüsch ein dunkler Schatten auf und schwirrte trudelnd durch den grauen Novemberhimmel.
»Eine Schnepfe«, sagte Bruno. »Bald ist wieder Jagdsaison.«
»Ich freue mich schon auf ein leckeres Abendessen bei dir. Hoffentlich kriegst du genügend Vögel vor die Flinte.«
»Und dann schlemmen wir wieder im selben Kreis, allerdings ohne Jacqueline.«
»Fabiolas Gesellschaft ist mir ohnehin lieber«, erwiderte Pamela. »Und welchen Wein trinken wir dazu?«
»Die Wahl wird diesmal wohl wirklich zur Qual.« Bruno lachte. Er konnte es
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