Grand Cru
gewöhnlich war er um diese Uhrzeit im Stall, um seine Kühe zu melken. Bruno wimmelte alle Fragen ab und drängte zum Aufbruch. Danach ging er auf
capitaine
Duroc zu und bat ihn, einen Kollegen nach Coux zu schicken, um die Telefonzelle dort zu versiegeln. Es war kurz nach sechs. Fauquet würde sein Café inzwischen geöffnet haben, und Bruno brauchte jetzt ein gutes Frühstück.
Er steuerte auf zwei Autos zu, die er gut kannte: einen älteren Citroën ds und einen noch älteren 2 cv, ein Modell, das sich seit den dreißiger Jahren kaum verändert hatte. An der großen Limousine lehnte Brunos Freund, der Baron, ein Unternehmer im Ruhestand, der mit seiner gut durchtrainierten Figur um einiges jünger wirkte, als er tatsächlich war. Neben ihm stand Pamela, die Eigentümerin eines Gästehauses und in Saint-Denis besser bekannt unter ihrem Spitznamen: die verrückte Engländerin. Bruno hatte die beiden miteinander bekannt gemacht und ein Tennismatch arrangiert, an dem auch eine Freundin aus England beteiligt gewesen war. Das Damenduo hatte den Herren keine Chance gelassen.
»Der Baron hat mich aus dem Bett geklingelt. Von der Sirene habe ich nichts gehört«, sagte Pamela, eine attraktive Frau mit so stark ausgeprägten Gesichtszügen, dass es unzutreffend gewesen wäre, sie einfach als hübsch zu bezeichnen. Sie hatte einen Hermès-Schal um den Kopf geschlungen und trug eine dieser wattierten englischen Jacken, die inzwischen auch in Frankreich in Mode waren. Bruno erkannte Pamela immer schon von weitem, und zwar an ihrer Haltung, dem geraden Rücken und hoch erhobenen Kopf; so saß sie auch im Sattel, und wenn sie zu Fuß unterwegs war, schritt sie so selbstbewusst aus, wie es nur eine Frau tun konnte, die mit sich im Reinen war.
»Wo ist Ihr Pferd?«, fragte Bruno und gab ihr ein Küsschen auf beide Wangen. Sie wich zurück und lachte.
»Verzeihung, Bruno. Ich find's ja durchaus nett, wie sich Franzosen begrüßen, aber, mit Verlaub, Sie riechen schrecklich und sehen ganz schlimm aus. Muss wohl an der verbrannten Wolle liegen und diesem Schaum, mit dem Sie sich bekleckert haben. Und wenn ich richtig sehe, haben Sie Ihre Augenbrauen verloren. Aber vielleicht lasse ich mich von dem schwarzen Schmier in Ihrem Gesicht täuschen.«
»Danke für den Hinweis.« Bruno fuhr mit den Fingern über die Brauen, die sich wie Bartstoppeln anfühlten.
»Das Pferd habe ich im Stall gelassen«, sagte sie. »Das Feuer hätte ihm Angst gemacht. Ich bin auch nur gekommen, um zu sehen, ob jemand evakuiert werden muss und eine Unterkunft braucht.«
»Was ist das für ein Schuppen, der da abgebrannt ist?«, wollte der Baron wissen. »Ich dachte, ich kenne mich hier auf den Hügeln aus, habe dieses Ding aber nie zuvor gesehen.«
»Ich auch nicht«, antwortete Bruno. »Liegt ja auch ziemlich versteckt. Die ganze Lichtung ist von der Straße aus nicht einzusehen. Treffen wir uns bei Fauquet? Ich habe Hunger.«
»Gute Idee«, sagte der Baron. »Wieder ins Bett zu gehen lohnt eh nicht mehr. Pamela, ich lade Sie ein, vorausgesetzt, Sie versprechen mir, dass Sie unsere Gesellschaft unterhaltsamer finden als englische Kreuzworträtsel.«
»Aber gewiss, mein lieber Baron. Bruno sollte sich allerdings vorher waschen und umziehen.« Sie musterte ihn. »Die Hose können Sie wegwerfen. Ich hoffe, die Stadt spendiert Ihnen eine neue Uniform.«
Die drei wollten sich gerade auf den Weg machen, als das Signalhorn eines der Löschzüge zwei schrille Töne ausstieß. Ahmed winkte Bruno zu sich. »Vergiss nicht, Bruno, du und Albert, ihr müsst sofort ins Krankenhaus. Das ist Vorschrift.«
2
Selbst im Zeitalter des Computers war es alles andere als einfach, festzustellen, wem das verkohlte Feld und der niedergebrannte Schuppen gehörten. Claire, die Sekretärin des Bürgermeisters, brütete über dem riesigen Grundbuch, in dem jede Liegenschaft und jedes Flurstück der weitläufigen Gemeinde von Saint-Denis aufgelistet und durchnummeriert war. Die ermittelte Flurstücknummer würde dann im Grundsteuerregister aufzuspüren sein, und erst das gäbe Aufschluss über den rechtmäßigen Eigentümer.
»Auf der Karte ist da oben überhaupt keine bauliche Anlage eingetragen«, klagte Claire. »Bist du sicher, die richtige Straße genannt zu haben, Bruno?«
»Ja, das bin ich.« Geduscht, rasiert, in seiner zweiten Uniform und mit einem ärztlichen Attest in der Tasche fühlte sich Bruno wieder wie neu, abgesehen von den Augenbrauen. Er trat zu ihr an
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