Grandios gescheitert
800.000 Flüchtlinge nach Luanda brachte. Viele von ihnen kamen aus Konfliktgegenden, in denen die Erfolge der Impfaktion aufgrund der politischen und sozialen Verhältnisse begrenzt gewesen waren. Den Ausbruch der Epidemie begünstigten die prekären hygienischen Verhältnisse der Flüchtlingslager, in denen die Menschen untergebracht wurden. Angesichts der Katastrophe wurden in einer Notmaßnahme in nur zwei Tagen im April 1999 fast 640.000 Kinder in Luanda geimpft, ebenso in anderen Regionen, wo aber die Konfliktsituation erneut zu Behinderungen führte.
Bemühungen neutraler Organisationen um einen vorübergehenden Waffenstillstand zum Zwecke der medizinischen Versorgung und Vorsorge der Zivilbevölkerung sind nicht immer erfolgreich. Gravierend erweisen sich in manchen Staaten und Gegenden auch die Vorbehalte meist religiöser Art gegen Impfungen, vor allem aber die politische Instrumentalisierung von Impfängsten in wenig aufgeklärten Gesellschaften. Immer wieder geschah es, dass politische Kräfte die Bevölkerung mit Falschinformationen verunsicherten. Meist wurde verbreitet, der Impfstoff sei entgegen der Erklärungen von Behörden und WHO nicht sicher, so 2003 in Nigeria. Seltener wurden sogar Gerüchte gestreut, der Westen verfolge mit seiner Impfaktion alles andere als humanitäre Absichten. Ein weiteres Problem stellt die Einschleppung von Polioviren in bereits poliofrei gemeldete Länder dar – angesichts der stetig steigenden Reisebewegungen weltweit kein geringes Problem. Auf diese Weise kam es um die Jahrtausendwende zu Fällen von Poliomyelitis in Bulgarien, Georgien, im Libanon und in China durch Einschleppung aus Indien oder Pakistan sowie in den Iran aus Afghanistan. Aus Niger und Nigeria gelangten Polioviren noch einmal in die Nachbarstaaten Burkina Faso und Ghana.
Vorschub wurde der erneuten Verbreitung der Erreger dadurch geleistet, dass in vielen Staaten nach dem Impfprogramm die medizinische Disziplin wieder nachgelassen und demzufolge sich die Immunität insgesamt verringert hatte. Das kann an der Nachlässigkeit der Gesundheitsbehörden liegen, aber auch an einer Impfmüdigkeit, wie sie sich in den reichen Industriestaaten seit einigen Jahren gefährlich bemerkbar macht. Zunehmend mehr Eltern sehen keine Notwendigkeit mehr, ihren Kindern einen umfassenden Impfschutz zukommen zu lassen, weil sie allzu optimistisch das geringe Risiko einer Ansteckung als gar nicht mehr vorhanden ansehen. Angesichts dieser Schwierigkeiten musste die WHO im Jahr 2000 eingestehen, dass trotz der beeindruckenden Fortschritte das eigentliche Ziel – nämlich zu Beginn des neuen Millenniums die Erde poliofrei zu machen – nicht hatte erreicht werden können. Aber immerhin konnte die WHO-Region Pazifik für poliofrei erklärt werden. Und die Rekordzahl von 550 Millionen Kindern wurde allein in diesem Jahr mit dem Polioimpfstoff immunisiert.
Ein neuer Anlauf
Im Januar 2004 legte die Weltgesundheitsorganisation erneut einen Strategieplan auf, der bis 2008 das Ziel der Polio-Kampagne ermöglichen sollte, und ersetzte damit alle noch laufenden Maßnahmen. Das Ziel war, auch in den neunzehn Ländern, die noch nicht als poliofrei zertifiziert worden waren, dafür die Bedingungen zu erreichen. Vor allem musste es darum gehen, so schnell wie möglich in den sechs verbliebenen Ländern, in denen Polio nach wie vor endemisch vorkam, die Übertragungswege zu unterbrechen: Afghanistan, Ägypten, Indien, Niger, Nigeria und Pakistan. Das war umso dringlicher, als in vielen anderen Ländern nach der Eindämmung der Kinderlähmung die Impfbemühungen erlahmten, wenn nicht ganz einschliefen. Solche Länder waren anfällig bei einem Import von Polioviren aus den genannten Ländern, daher wurden dort Nachimpfungen forciert. Beispielsweise kam es 2004 zum Export der Kinderlähmung aus West-/Zentralafrika, vermutlich Nigeria und Tschad, in den Sudan, wo im Mai in der Krisenregion Darfur die Polioerkrankungen zunahmen, nachdem die Jahre zuvor keine Fälle von Kinderlähmung aufgetreten waren. Im November 2004 erkrankte in Saudi-Arabien ein eingereister Sudanese an Poliomyelitis, doch konnte die Ausbreitung der Infektion verhindert werden. Im ebenfalls betroffenen Jemen waren die Folgen allerdings schlimmer. Zwar waren wegen der Gefahr einer Ausbreitung noch landesweit Impfungen durchgeführt worden, aber trotzdem erkrankten im ersten Halbjahr 2005 264 Menschen an Polio, nachdem im Jahr zuvor kein einziger Fall dokumentiert
Weitere Kostenlose Bücher