Grandios gescheitert
Allgemeinen und für unendlich viel Leid im Besonderen verantwortlich gewesen. Die UN-Sonderorganisation WHO, 1948 gegründet, verfolgt ihrer Verfassung zufolge als Ziel das bestmögliche Gesundheitsniveau für alle Menschen und widmet sich insbesondere der Eindämmung von Infektionskrankheiten. Ende Oktober 1977 wurde der weltweit letzte Fall einer Pockenerkrankung registriert – ein 23-Jähriger in der Hafenstadt Merka im Süden Somalias. Zu Recht gilt dieser Erfolg als einer der größten im globalen öffentlichen Gesundheitswesen im gesamten 20. Jahrhundert. Andere Kampagnen gegen Malaria oder Frambösie hingegen hatten ihr Ziel verfehlt. Aufgrund des Erfolgs dieser weltweiten Impfkampagne und der beeindruckenden Resultate nationaler Impfkampagnen gegen Kinderlähmung in den westlichen Industriestaaten nahm sich die WHO sodann die Poliomyelitis vor, die als am besten geeignet erschien, um den globalen Triumph über die Pocken zu wiederholen. Im Mai 1988, auf ihrer 41. Versammlung in Genf, erklärte die Weltgesundheitsorganisation die weltweite Ausrottung der Kinderlähmung zu ihrem Ziel, das bis zum Jahr 2000 erreicht werden sollte. Ausrottung ist dabei definiert als ein vollständiges und dauerhaftes Ende der »natürlichen« Ansteckung durch die Krankheitserreger. Damals wurden weltweit jährlich rund 350.000 Fälle von Kinderlähmung dokumentiert.
Dass die Ausrottung der Kinderlähmung eine komplexere Aufgabe sein würde als die der Pocken, war der WHO bewusst. Zwar werden, ähnlich wie der Pockenerreger Variola, die Polioviren von Mensch zu Mensch übertragen und nicht von Tieren, aber statt einem existieren drei Erreger. Die Impfung muss im Unterschied zur Pockenschutzimpfung mehrmals erfolgen, was im globalen Maßstab eine erheblich größere logistische Aufgabe darstellt. Das Programm verlangte außerdem einen höheren Hygienestandard als die Impfaktion gegen die Pocken. Abgesehen davon war der Anreiz für die Industrienationen und Finanzgeber des Programms geringer als bei den Pocken, weil Polio für die westliche Welt seit der Entwicklung des Impfstoffs kein unmittelbares Problem mehr darstellte: Die Bevölkerung wurde »durchgeimpft«, wie es im medizinischen Jargon heißt. Anderes sprach hingegen dafür, sich als nächsten Kandidaten unter den zu bekämpfenden Infektionskrankheiten die Kinderlähmung vorzunehmen: Die Krankheit wird ausschließlich von Mensch zu Mensch übertragen, es gibt keine Wirtstiere, die den Viren das Überleben erleichtern. Die Infektion ist akut, nicht dauerhaft, wer also gesundet ist, stellt keine Infektionsgefahr mehr dar. In der Umwelt kann der Virus allenfalls wenige Monate überleben. Und schließlich stoppt die Impfung die Weitergabe der Viren, der Ansteckungskreislauf wird also dauerhaft unterbrochen. In einer globalisierten Welt profitieren also auch die reichen Länder von der Bekämpfung der Kinderlähmung in Zentralafrika. Ganz abgesehen von der humanitären Verpflichtung der gesamten Weltbevölkerung gegenüber.
Herkulesaufgabe Weltgesundheit
Die Aufgabe gleicht der des Herkules, und nur eine kraftvolle und entschlossene Institution wie die Weltgesundheitsorganisation der Vereinten Nationen konnte sie überhaupt in Angriff nehmen. Immerhin verlangt sie die zuverlässige Mitarbeit der Gesundheitsbehörden in zahlreichen Ländern, die wiederum ihre Bevölkerung effektiv erreichen müssen – zumal eine mehrmalige Impfung notwendig ist. Hinzu kommen kulturelle Aspekte: Wenn es um Impfung geht, bestehen vielerlei Vorbehalte kultureller und religiöser Art, sodass eine nachhaltige Aufklärung betrieben werden muss. Die WHO konnte dafür Partnerorganisationen gewinnen, darunter die Wohltätigkeitsorganisation Rotary International, später kamen die Google Foundation und die Bill & Melinda Gates Foundation hinzu. Außerdem ist ein globales Netzwerk von humanitären und Nichtregierungsorganisationen beteiligt, sodass ein gutes Viertel der Kosten nichtstaatlich finanziert wird.
Also stellte sich die WHO ihrer bisher größten Herausforderung. Die Staaten, in denen mehr als 70 Prozent der Bevölkerung bereits gegen Polio immunisiert waren, wurden ermuntert, den Virus gänzlich zu eliminieren. Staaten mit einer Impfungsrate von unter 70 Prozent wurden aufgefordert, möglichst rasch diese Marke zu erreichen. Diejenigen Länder schließlich, in denen die Krankheit bereits als ausgerottet galt, wurden gebeten, die Impftätigkeit aufrechtzuerhalten und ihre Expertise anderen
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