Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Grandios gescheitert

Grandios gescheitert

Titel: Grandios gescheitert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Ingmar Gutberlet
Vom Netzwerk:
günstige Umstände nutzte und sich um humanitäre oder ethische Belange nicht weiter scherte. Ohne Kommunist zu sein, zögerte er außerdem nicht, sich politisch anzubiedern, um sein ersehntes Vorhaben in die Tat umzusetzen. Dabei liegt auf der Hand, dass im Erfolgsfall Iwanow weltweite Berühmtheit erlangt hätte. Man darf annehmen, dass dies keine geringe Motivation darstellte.
    Nach der Oktoberrevolution und dem sich anschließenden Bürgerkrieg hatte sich Iwanow recht schnell mit den neuen Machthabern arrangiert, die ihm Reisen nach Frankreich und Deutschland ermöglichten. Außerdem verlagerte er seinen Forschungsschwerpunkt, wie es viele Kollegen taten, die sich davon bessere Arbeitsmöglichkeiten versprachen. Iwanow richtete sein Interesse nunmehr auf Primaten und insbesondere auf die Kreuzung von Affe und Mensch. In vielen Ländern war Eugenik eine regelrechte Modewissenschaft geworden, deren Vertreter im Vergleich zu vielen Kollegen weniger Mühe hatten, Forschungsgelder zu erhalten.
    In der jungen Sowjetunion besaß die Eugenik eine zum Teil andere Ausrichtung als in Frankreich oder Deutschland. Den Hintergrund bildete hier weder die Überlegung, eine postulierte »Rassenreinheit« zu erhalten, noch die, einer schleichen­den Degeneration der Bevölkerung entgegenzuwirken. Interessant beim Aufbau einer völlig neuen, sozialistischen Gesellschaft mit einem veränderten, »modernen« Menschenbild waren mögliche Perspektiven, dabei mittels biologischer Maßnahmen den Weg zum »neuen Menschen« zu beschleunigen. Nur eine Woche bevor Professor Iwanow seine Forschungsreise begann, hatte der sowjetische Genetiker und überzeugte Marxist Alexander Serebrowski vor der Akademie der Wissenschaften den Genpool der sowjetischen Bevölkerung als Ressource von unschätzbarem Wert bezeichnet. Damit ließ sich arbeiten.
    Neben dem allgemeinen Interesse an Züchtungsforschung aller Art war es zunächst Iwanows langjährig guter Ruf als Wissenschaftler, der ihm die Expedition ermöglichte, denn solch ein Projekt war nur mit höchster politischer Unterstützung umzusetzen. Ebenso bedeutsam war aber auch, dass dieses Vorhaben dem neuen Zeitgeist der jungen Sowjetunion entsprach. Da war es hilfreich, was hochrangige Politiker in Empfehlungen für Iwanows Projekt schrieben: dass damit nämlich ein wichtiges Problem des Materialismus wissenschaftlich angepackt würde und als außerordentlich wirkungsvolle Waffe gegen die Macht von Religion und Kirche dienen könnte, die der Sowjetstaat erbittert bekämpfte. Dass das Experiment religiös, moralisch und ethisch mehr als zweifelhaft war, wurde eher als Positivum verbucht in einer Zeit, die alte Werte zerstören und eine ganz neue Ordnung aufbauen wollte.
    Iwanow konnte einen energischen Fürsprecher für seine Sache gewinnen: Nikolai Gorbunow, ehemaliger Sekretär ­Lenins und Stabschef der Sowjetregierung. Gorbunow war der Wissenschaft überaus gewogen – und er verfügte über hervorragende Kommunikationsmöglichkeiten an höchster Stelle; er dürfte damals der einflussreichste Förderer der Wissenschaften in der UdSSR gewesen sein. Mit seiner Unterstützung wurde das Vorhaben in den zuständigen Gremien offenbar regelrecht durchgewinkt: Im Protokoll des Rats für Arbeit und Verteidigung, der das Geld bewilligen musste, taucht es recht harmlos zwischen der Bewilligung eines Darlehens für eine Veteranenorganisation verdienter Revolutionäre und dem Kauf von Silberbesteck für die sowjetische Botschaft in Berlin auf. Selbst die Sowjetische Akademie der Wissenschaften hat offenbar weder gestutzt noch nachgefragt, was sie da genehmigte, die Zustimmung stellte einen bloßen formalen Akt dar. Abermals erwies sich die Gelegenheit als überaus günstig: Die noch aus zaristischer Zeit stammende Akademie und die neuen Sowjetbehörden pflegten zu dieser Zeit geradezu harmonische Beziehungen, was in Fällen wie diesem wohl dazu führte, dass die Akademie nicht übermäßig kritisch war gegenüber Anliegen und Wünschen, die seitens der Regierung an sie herangetragen wurden. Offenbar galt diese Strategie, die wohl dem Überleben der eigenen Institution galt, selbst für einen so heiklen Antrag wie den Iwanows, denn es kam nicht einmal zu Nachfragen.
    Vor den Forscherkollegen in der ehrwürdigen Akademie der Wissenschaften benutzte Iwanow allerdings auch eine etwas andere Sprache als vor den Apparatschiks im Kreml: Hier war nicht mehr von wissenschaftlichen Argumentationshilfen für

Weitere Kostenlose Bücher