Grandios gescheitert
versuchten weiterhin, ihren Plan B umzusetzen.
Schließlich traf ein Brief des Kolonialbeamten aus dem Kongo ein. Der Mann schrieb Iwanow von der Möglichkeit, das Experiment in einem Krankenhaus in Nola in Französisch-Äquatorialafrika durchzuführen, heute in einem Zipfel im äußersten Südwesten der Zentralafrikanischen Republik gelegen. Iwanow plante eine Reise dorthin, dann aber erzwang seine desolate finanzielle Situation die sofortige Rückkehr nach Europa. Vermutlich hatte er vergeblich versucht, neue Geldmittel aufzutreiben, um seinen Aufenthalt doch noch verlängern zu können. Frustriert traten er und sein Sohn am 1. Juli 1927 die Rückreise in die Sowjetunion an.
Völlig ergebnislos war die Afrika-Expedition des Experimentalbiologen jedoch nicht, denn Iwanow brachte verschiedene Affen mit, die in einer neu gegründeten Zuchtstation im georgischen Sochumi an der Schwarzmeerküste untergebracht wurden. Die Gründung der Primatenforschungsstation hatte Iwanow kurz vor seiner Abreise nach Afrika noch in die Wege geleitet. Unter den mitgeführten Tieren waren zunächst auch Babette, Syvette und Black gewesen – die drei Schimpansenweibchen, deren Befruchtung fehlgeschlagen war. Allerdings starben Black bei der Ankunft in Marseille und Syvette auf dem Weg nach Russland. In einem neuerlichen Anlauf sollten nun männliche Affen als Samenspender dienen, denn Iwanow wollte das Experiment jetzt auf sowjetischem Boden durchführen.
Zunächst aber musste Iwanow bei seinen Auftraggebern Bericht erstatten, was entschieden weniger reibungslos ablief als die Bewilligung der Gelder im Jahr zuvor. In der Akademie der Wissenschaften rief Iwanows Expeditionsbericht einiges Entsetzen hervor. Die Akademiemitglieder zeigten sich abgestoßen von den Versuchen des Biologen, afrikanische Frauen als Versuchspersonen zu missbrauchen, zumal er dieses Ansinnen vorab nicht hatte genehmigen lassen. Dass die Frauen hätten getäuscht werden sollen, schien den Herren vollends inakzeptabel. Prompt verweigerten sie dem Biologen weitere Finanzmittel. Mit Hilfe seines Gönners Gorbunow aber konnte Iwanow weitermachen – der Sowjetfunktionär hatte kein Problem mit der ethischen Fragwürdigkeit des Unternehmens, sondern allein den vermeintlichen wissenschaftlichen Fortschritt im Auge. Die beiden profitierten nun außerdem von den Umwälzungen in der sowjetischen Forschungslandschaft, denn inzwischen hatte die Kommunistische Akademie an Bedeutung gewonnen und befasste sich im Frühling 1929 mit Iwanows Projekt.
Noch mehr als zuvor wurde die politisch-weltanschaulich progressive Dimension des Projekts hervorgekehrt und unter anderem die Tatsache, dass sich in den Vereinigten Staaten der rassistische Ku-Klux-Klan darüber hochgradig erregt hatte, als ein Beleg dafür angeführt. Wichtiger war aber offenbar ein weiteres Mal das überaus günstige Timing: Stalin hatte die Sowjetunion innenpolitisch radikalisiert und in einer Kulturrevolution triumphierte nunmehr die junge Generation der Sowjetwissenschaftler gegen ihre älteren »bürgerlichen« Kollegen. Die Stalinisierung der sowjetischen Wissenschaft hatte begonnen – und Iwanow war fest entschlossen, sich im veränderten System weiterhin zu behaupten.
Als am Ende des Jahrzehnts kommunistische Wissenschaftler aus den Hochschulen und Akademien drängten, wollte Stalin ausdrücklich, dass die nachrückende Generation mit der bürgerlichen Wissenschaft gründlich aufräumte. Vor dem Kommunistischen Jugendverband, Komsomol, erklärte Stalin im Mai 1928 in militärischer Terminologie, die Festung Wissenschaft müsse um jeden Preis von jungen Leuten gestürmt werden, und verlangte umgehend einen Massenangriff auf die Bastionen der »alten Garde«. Diese Marschrichtung hatte bereits 1922 in der Komintern-Monatsschrift Unter dem Banner des Marxismus kein Geringerer als Lenin vorgegeben: Der schrieb von der Notwendigkeit zu »begreifen, dass sich ohne eine gediegene philosophische Grundlage keine Naturwissenschaft, kein Materialismus im Kampf gegen den Ansturm bürgerlicher Ideen und gegen die Wiederherstellung der bürgerlichen Weltanschauung behaupten kann. Um diesen Kampf bestehen und mit vollem Erfolg zu Ende führen zu können, muss der Naturforscher moderner Materialist sein, das heißt, er muss dialektischer Materialist sein.« Aber erst Stalin konnte eine junge Garde ideologisch geschulter und gefestigter Wissenschaftler aufbieten, die Lenin noch nicht zur Verfügung gestanden hatte.
Weitere Kostenlose Bücher