Grappa Und Die Seelenfaenger
Wasser im Mund zusammenlaufen.
»Die Birsen aus meinem Haus geht da auch hin. Zum Casting – mein ich«, erzählte Frau Schmitz weiter. »Die hat jetzt ihre Lehre geschmissen, aber singen kann se.«
»Birsen? Ist das ein türkischer Name?«
»Ja, isser. Der Papa malochte bei Krupp, hat aber vor Kurzem die Fristlose bekommen. Jetzt will die Kleene groß rauskommen.«
»Wie alt ist die Kleene denn?«, fragte ich. Ich hatte eine Idee.
»Siebzehn.«
»Sind die Eltern zugänglich oder eher fundamentalistisch?«
»Warum willste das denn wissen, Frau Grappa?«
»Ich muss doch weiter über WSDS berichten. Vielleicht kann ich eine Geschichte über Birsen machen. Begleitreportagen stehen bei meinem neuen Chef hoch im Kurs. Hauptsache personalisieren. Und wenn die Person dann noch Migrationshintergrund hat, umso besser.«
»Das haben die bei WSDS doch alle«, meinte die Bäckerin. »Da geht doch kaum jemand hin, der richtig deutsch spricht.«
»Stimmt. Leider können auch die Deutschen kein Deutsch mehr«, gab ich zu. »Wie findest du den Brett, Frau Schmitz?«
»Also, mir gefällt dieser elegante Schwatte besser«, lächelte sie. »Aber der Brett hat die besseren Sprüche drauf. Der kennt ja keine Verwandten. Neulich hat sich so ein Bubi vor Angst in die Hosen gepullert. Und der Brett hat noch ordentlich auf dem rumgehackt. Lieber Cholera auf dem Pipimann als deine Stimme … Und recht hat er gehabt. Diese Singerei ging gar nicht.«
»Das hab sogar ich gesehen«, mischte sich Friedemann Kleist ein.
»Du willst mir jetzt nicht erzählen, dass du WSDS guckst?«, fragte ich verdattert.
»Nein, nein. Ich bin beim Zappen zufällig da reingeraten«, verteidigte sich der Hauptkommissar. »Der Junge hatte das Ave Maria gesungen. Anschließend hat Brett ihm detailliert erläutert, wie man sich auf der Toilette zu verhalten hat. Dass er ordentlich abschütteln soll. Da hatte ich genug Fernsehen für die nächsten Abende.«
»Du überraschst mich immer wieder.« Ich schaute ihn liebevoll an – unter den Augen der neugierigen Bäckerin, die prompt verstohlen griente.
Bei der Redaktionskonferenz stellte uns Schnack eine überraschende Neueinstellung vor: »Dies ist unser neuer Redakteur Carsten Biber. Er wird ab sofort das Ressort Lifestyle betreuen. Herr Biber hat umfangreiche journalistische Erfahrungen. Er wird die Redaktion verjüngen und Ihnen und mir vielleicht eine andere, frischere Sichtweise auf die Dinge nahebringen.«
Ich starrte Biber an.
Gestern Abend war er noch Bärchen genannt worden. Händchenhalten war in der Konferenz aber wohl eher out als in.
»Was bedeutet ›Lifestyle‹ denn eigentlich genau?«, fragte ich.
»Lebensgefühl. Geschichten von nebenan. Liebenswertes. Pfiffiges. Aber auch Nachdenkliches«, erklärte Schnack.
»Und das ist neu?«, hakte ich nach.
»Vieles in dieser Redaktion ist eingefahren und wirkt piefig«, entgegnete der Chef. »Das Alter unserer Abonnenten liegt nach einer Medienanalyse bei Mitte fünfzig und aufwärts. Da heißt es jetzt: Gegensteuern! Ich hoffe, dass Sie uns auf diesem Weg begleiten, Frau Kollegin!«
Hinter meinem Pokerface sann ich auf Revolution. Aber Dr. Margarete Wurbel-Simonis schmachtete den neuen Chef an.
Wenn ich die Lage richtig einschätzte, würde Biber in vier Wochen ein Star sein. Er würde künftig die Storys für die erste Seite schreiben. Na, viel Erfolg damit. Aber das Pferd, auf dem ich saß, war noch nicht tot.
»Heute wird der neue Oberbürgermeister vereidigt«, erklärte Schnack. »Ich werde den Termin selbst wahrnehmen. Das Redemanuskript liegt mir bereits vor. Die Bürgerinnen und Bürger der Stadt müssen sich auf einschneidende Sparmaßnahmen einstellen.«
»Der spart bestimmt zuerst an der Kultur«, prophezeite Wurbel-Simonis. »Die war ihm ja schon immer egal.«
Einige Kollegen murrten.
»Jeder wird an seinen Leistungen gemessen. Und das werden wir auch in diesem Fall tun«, stellte Schnack klar. »OB Jansen kann nicht damit rechnen, dass wir ihn weniger kritisch begleiten, nur weil er mein Vorgänger ist.«
»Das wird Herr Jansen auch nicht. Doch mit übler Nachrede wird er genau so wenig rechnen«, mischte ich mich ein und schaute Wurbelchen mit einem offenen Lächeln an.
»Aber, meine Damen.« Schnack griff zum Terminplan des Tages. »Wir wollen uns der nächsten Ausgabe unserer Zeitung zuwenden. Die Termine liegen auf Ihren Schreibtischen. Herr Harras, ich rechne mit vierzig Zeilen über die Einweihung der neuen
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