Grappa Und Die Seelenfaenger
eine Frage stellen«, sagte ich und steuerte meinen Verfolger an.
»Warum haben Sie mich fotografiert?«, fragte ich.
Er steckte die Linke in seine Jackentasche. »Ich habe Sie nicht fotografiert«, behauptete er dann. Seine massigen Wangen vibrierten.
»Ich reklamiere mein Recht am eigenen Bild«, teilte ich den Polizisten mit. »Der Kerl hat mich mehrfach geknipst. Die Kamera muss noch im Wagen sein.«
»Ich besitze gar keinen Fotoapparat.«
Die Polizisten durchsuchten das Fahrzeug. Es wurde weder eine Kamera noch ein fotofähiges Handy gefunden.
Wilde Rosen und wache Kameras
Die Allee erinnerte mich an die schönen schattigen Straßen in der Provence. Die Platanen waren so hoch, dass sie oben ein Dach bildeten – wie bei einer Kathedrale. Die hübschen Villen rechts und links der Straße zeugten von Wohlstand. Arnold Weber hatte sich für sein Heim eine vorzügliche Wohngegend ausgesucht. Sein weiß getünchtes Haus war von Wildrosen umgeben, die voll in Blüte standen.
Ich lief auf das Haus zu. Die Rollläden im Erdgeschoss waren geschlossen. Über der Eingangstür waren zwei kleine Kameras angebracht, deren rote Lämpchen leuchteten.
Ich blickte in eine der Linsen und klingelte. Ein melodischer Gong ertönte. Nichts.
»Herr Weber, ich bin Maria Grappa vom Bierstädter Tageblatt. Ich hätte Sie gern wegen Ihrer Tochter und der Kirche der Erleuchteten gesprochen«, rief ich zu den Kameras gerichtet. »Hier ist mein Presseausweis.«
Ich hielt das Papier, so hoch ich konnte.
Der Türöffner summte.
Na also, ging doch.
»Es begann alles ganz harmlos«, berichtete Arnold Weber wenig später. »Meine Töchter waren schon immer leicht esoterisch angehaucht, das haben sie von meiner verstorbenen Frau. Sie sprachen mit den Bäumen im Garten, trugen jede Spinne hinaus und glaubten an ein höheres Wesen, das nicht Gott heißt, sondern Natur.«
»Töchter?«, fragte ich.
»Ja, es sind Zwillinge. Monika und Bettina.«
»Altmodische Namen, jedenfalls Bettina«, rutschte mir heraus.
»Ja, wie das so ist: Patentanten oder Omas als Namensgeber.« Weber erhob sich und ging zu einem Schreibtisch. Er schien nicht ganz fit zu sein und stützte sich beim Laufen auf den Möbeln ab.
»Das sind die beiden«, sagte er und reichte mir ein Foto. »Die linke ist Monika.«
Die beiden jungen Frauen auf dem Bild hielten sich im Arm und lachten.
»Hübsche Frauen. Wer von den beiden gehört zur Sekte?«, fragte ich.
»Ich habe beide verloren. Monika noch nicht ganz, aber Bettina schon. Sie ist Ethikoffizierin bei diesen Leuten und will Monika wieder in diese teuflische Sekte hineinziehen. Auch wegen ihres Geldes.«
»Was hat Geld damit zu tun?«, wollte ich wissen.
»Mit Erreichen ihrer Volljährigkeit haben Monika und Bettina das Vermögen ihrer Mutter ausgezahlt bekommen. Raten Sie mal, auf wessen Konten dieses Geld inzwischen gelandet ist?«
»Das kann ich mir denken. Wo sind Ihre Töchter jetzt?«
»Zu Bettina habe ich schon seit mehreren Monaten keinen Kontakt mehr«, antwortete Weber. »Ich sagte schon, sie gehört zum Management dieser Verbrechersekte. Sie ist kein Opfer mehr, sondern eine Täterin.«
»Und Monika?«
»Sie befindet sich in einer geschlossenen Psychiatrie. Ich habe sie einweisen lassen.«
»Gegen ihren Willen?«
Weber antwortete nicht direkt auf die Frage. »Haben Sie Zeit? Darf ich Ihnen erzählen, wie diese Verbrecher Seelen fangen?«
»Aber gerne. Deshalb bin ich ja gekommen.«
Am Nachmittag, zurück in der Redaktion, schrieb ich den Artikel.
EIN VATER ERZÄHLT: SCHLIMM WIE DIE STASI – WIE DIE ERLEUCHTETEN ABTRÜNNIGE BESTRAFEN
Arnold W. fragt sich jeden Tag: »Was habe ich falsch gemacht? Warum habe ich meine beiden Töchter Bettina und Monika (beide 32) an eine Psychosekte verloren?« Der verzweifelte Mann hat keine Antwort auf die Frage. Vor einigen Tagen hat Arnold W. seine Tochter Monika aus den Fängen der Erleuchteten befreit. Als sich Monika W. an einem Informationsstand der Sekte auf offener Straße aufhielt, wurde sie von ihrem besorgten Vater »entführt« und in Sicherheit gebracht. Doch Bettina glaubt er für immer verloren. Sie gehört inzwischen der Führungsebene der Sekte an – als sogenannte Ethikoffizierin. Diese Offiziere kontrollieren die Mitglieder auf missliebiges Verhalten.
»Eine Organisation wie die Stasi«, berichtet Arnold W. »Das ganze System ist vollkommen durchkontrolliert, es gibt kaum eine Chance, da rauszukommen, wenn man erst
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