Grappa Und Die Seelenfaenger
krank, verdunkelte den Raum und zog die Decke über den Kopf. Die Schmerzen hämmerten Dellen in meine Hirnschale. Ich dämmerte vor mich hin – wie lange, wusste ich nicht.
In meinen Tagträumen erschien Klara Billerbeck, wie sie einen Song zum Besten gab. Schnack, Bärchen Biber und Pöppelbaum saßen in der Jury und Margarete Wurbel-Simonis trug einen karierten Rock und servierte Fingerfood.
»Du bekommst deine Kinder nicht zurück, wenn du weiter so scheiße singst«, schrie Schnack. »Mit deiner Stimme kannste meiner Mutter die Knorpel aus dem Knie singen.«
Irgendwann wirkte die Tablette und ich schlief ein. Keine Träume mehr.
Es war schon später Nachmittag, als ich aufwachte. Keine Meldungen auf meinem Handy. Allerdings mehrere Anrufe von Nummern, die ich nicht zuordnen konnte. Ich duschte lauwarm und dann kalt, bis mein Kopf ganz klar war.
Kaffee wäre jetzt Gift gewesen. Ich kochte einen Kräutertee, der eine belebende Wirkung versprach, und aktivierte die Lautsprecher am PC. Partiten für Cello von Bach – die richtige Musik, um wieder auf die Beine zu kommen.
Es klingelte an der Tür. Vorsichtig spähte ich. Kleist! Mein Herz machte einen Freudenhüpfer.
»Was ist mit dir?«, fragte er. »In der Redaktion sagte man mir, dass du krank seist.«
»Es geht schon wieder. Eine Migräne. Vom Feinsten. Möchtest du einen Kräutertee?«
»Es gibt Tee in deinem Haus?«, wunderte er sich.
»Nur, wenn ich krank bin.«
»Verstehe.«
In der Küche fragte ich: »Was führt dich hierher?«
»Ich habe mir Sorgen gemacht.«
»Ich bin gerührt. Aber es ist ja wieder alles gut. Als Mädchen hatte ich jede Woche Migräne. Jetzt haben die Hitzewellen die Migräne weitgehend abgelöst. Du bist doch noch aus einem anderen Grund hier, stimmt’s?«
»Ja. Ich habe ein Problem mit dem Fall Pitt Brett«, räumte er ein.
»Das dachte ich mir. Dein Interview war so … merkwürdig.«
»Ich habe eine These, die ich dir darlegen will«, kündigte er an. »Eine kühne These. Lach aber nicht.«
Ich schüttelte den Kopf. »Ich mag kühne Thesen. Also los!«
Kleist sah mich so an, dass mir warm ums Herz wurde. »Also. Die These ist: Pitt Brett ist gar nicht entführt worden!«
»Uups!«
Pause.
»Wie kommst du darauf?«, fragte ich schließlich.
»Ich versuche jetzt mal zu denken wie Pitt Brett.«
»Das wird schwer«, kicherte ich. »Aber ich höre dir gern zu. Besonders, wenn es dir gelingt, so unflätig rumzuprollen wie der Brett.«
»Ich bin Pitt Brett. Ich mache seit acht Jahren diese Show. Sehr erfolgreich. Meine Rolle ist die des Scharfrichters. Ich kann beurteilen, wer singen kann und wer eine Chance im Musikgeschäft hat. Erfüllt jemand diese Voraussetzungen nicht, fliegt er raus und wird zudem noch lächerlich gemacht. Aber das stört Möchtegernsänger nicht, sie wollen das und niemand zwingt sie, an meiner Show teilzunehmen. Ich werde angegriffen – von Journalisten, Medienwächtern und jedem, der sich dazu berufen fühlt.« Kleist nahm einen Schluck Tee. »Plötzlich sinkt die Quote. In meinem Sender entsteht Murren. Man will, dass ich meine Kritik geschmeidiger formuliere. Man will mir das Privileg wegnehmen, den Gewinnertitel zu produzieren und zu vermarkten. Und das Erstzugriffsrecht auf Verträge mit den Gewinnern soll ich auch verlieren. Das bedeutet: sehr viel weniger Geld.«
»Woher weißt du das alles?«, fragte ich.
»Ich hatte einen Termin mit den Geschäftsführern des Senders. Die waren sehr offen zu mir.«
»Langsam dämmert mir, auf was du hinauswillst«, sagte ich. »Bei sinkender Quote hilft ein Aufreger in der Presse, der nicht direkt aus der Show entsteht, sondern aus dem richtigen Leben. So etwas wie eine Penisoperation. Oder ein Einbruch oder so. Oder eben eine Entführung. Die kann man inszenieren. Dann hat man wieder mehr Zuschauer und die Chefs im Sender beruhigen sich.«
»Richtig. Also: Ich bin immer noch Pitt Brett. Und ich bereite diese Sache natürlich gut vor, denn ich bin ja nicht so doof und primitiv, wie viele glauben. Ich beherrsche die Regeln des Medien- und Showgeschäftes wie sonst kaum einer. Ich lege mich zum Schein mit dieser Sekte an. Der Sektenchef ist eingeweiht – gegen eine hübsche Geldsumme, versteht sich. Er verteilt Flugblätter, ich greife ihn auf meiner Homepage an.«
»Nun wird es aber wildromantisch«, lächelte ich. »So viel Fantasie hätte ich dir gar nicht zugetraut.«
»Du unterschätzt mich, meine Liebe. Aber weiter: Ich organisiere
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