Graue Schatten
gekommen war, für Larissa war es ein äußerst einschneidendes Ereignis: Betti hatte Kevin verlassen! Sie hatte ihre Koffer gepackt, als Kevin schon auf dem Weg zur Nachtschicht gewesen war, und war Hals über Kopf ausgezogen.
Larissa hätte ihm das vorhin gerne gesagt, hatte sich aber doch nicht dazu durchringen können. Sie musste das selber erst einmal richtig verdauen. Während der Übergabe war es ihr zudem unpassend erschienen und letztlich war es auch überflüssig, da Betti sowieso einen Abschiedsbrief für Kevin hinterlegt hatte.
„Na, Larissa, du konntest Kevin wohl heute auch nicht aufmuntern?“ Renates Frage holte Larissa plötzlich aus ihren Überlegungen. Die gelernte Arzthelferin nickte stirnrunzelnd: „Den wird vielleicht der Schlag treffen, wenn er heimkommt.“
„Was?“ und „Wieso?“, schallte es von zwei Seiten.
Irene, die selten sprachlos war, schaute sie nur mit offenem Mund fragend an.
„Seine Freundin hat ihn verlassen“, verriet Larissa. „Er weiß noch nichts davon. Betti hat ihm gestern Abend einen Abschiedsbrief geschrieben, als er schon hierher unterwegs war. Ja, ... und dann ist sie ausgezogen.“ Nach den letzten Worten hob sie die Hände, so als wären drei Pistolenläufe auf sie gerichtet. „Ich war selber total überrascht“, fügte sie noch hinzu, quasi als Entschuldigung.
Die anderen schauten eine Sekunde lang verdattert, dann prasselten die Fragen auf Larissa herein. „Die Bettina?“, fragte Irene überflüssigerweise, denn wie der größte Teil des Pflegepersonals kannte auch sie Kevins Freundin.
Anna schraubte ihren Kopf theatralisch zu Larissa herum. „Das ist doch die dünne Schwarzhaarige, die manchmal den Hansen begleitet hat?“
„Wie denn das?“, wollte Irene plötzlich noch fast gleichzeitig wissen.
Die ersten zwei Fragen hatte Larissa bereits mit einem Nicken in die jeweilige Richtung beantwortet. Jetzt erzählte sie weiter: „Betti hat mich gestern Abend zu Hause angerufen. Sie hat gesagt, sie sei ab sofort nicht mehr mit Kevin zusammen. Sie hatten sich wieder mal gestritten, danach hat sie ihre Koffer gepackt und ist zu ihrem Neuen gezogen.“
„Einfach so?“ Anna schien regelrecht bestürzt zu sein.
„Die beiden hatten schon eine ganze Weile ziemlichen Stress. Und gestern ist anscheinend das Fass übergeschwappt. Den neuen Typen, diesen Andrej kannte sie schon länger.“
„Das heißt, sie hat Kevin beschissen?“, entrüstete sich Anna.
„Wenn man so will“, gab Larissa zu.
„Und du hast davon gewusst?“, hakte Anna nach.
„Ja, aber ich habe den Typen noch nicht mal gesehen“, verteidigte sich Larissa. „Ich weiß nur, dass sie ihn Samstagabend bei der Party ihres Chefs wiedergetroffen hat.“
„Na ja, die jungen Leute bleiben heutzutage nicht mehr unbedingt für immer zusammen“, bemerkte Irene.
„Nicht nur die jungen“, entgegnete Larissa.
„Geht uns auch alles nichts an“, schritt Renate ein, die wohl keine Lust hatte, über Kevin zu tratschen.
„Da hast du recht, Renate. Aber unser Kevin sieht heute irgendwie schon mitgenommen aus. Die beiden hatten bestimmt Stress“, vereitelte Irene Renates Versuch, das Thema abzuwürgen, und sah fragend Larissa an.
„Er hat ja auch zehn Nächte hinter sich“, verteidigte Renate ihren Lieblingspfleger.
„Ja, wollte er nicht ganz in den Nachtdienst wechseln?“ fragte Irene nun und drehte sich wieder zu Larissa, von der sie sich vermutlich eine Insiderinformation erhoffte.
Die Angesprochene zuckte mit den Schultern. „Er wollte erst mal ausprobieren, ob er damit klarkommt, und später vielleicht als Dauernachtwache anfangen.“
„Das wird er sich jetzt wohl noch mal gut überlegen. Drei Todesfälle in zehn Nächten. Das ist schon hart“, leierte Irene.
„Und zwei haben ihn noch mal richtig geplagt“, pflichtete Renate ihr nachdenklich bei.
„Jetzt häuft sich's aber auch wieder.“ Irene schüttelte scheinbar bekümmert den Kopf. „Letzte Woche Frau Leutle und Herr Fritz, heute die Sausele.“
Weil niemand etwas antwortete, führte sie ihren Monolog fort: „Und bei Frau Leutle hätte man auch nicht damit gerechnet. Die war am Tag vorher noch auf dem Bewohnerausflug dabei. Aber, mein Gott, sie ist ja auch zweiundachtzig geworden. Sie wird sich wahrscheinlich doch an dem Tag übernommen haben. Sie war wohl auch nicht beim Abendessen.“
„Und was ist mit Herrn Fritz passiert?“, wollte Anna wissen.
Der Todesfall lag zwar schon mehr als eine Woche
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