Grauen im Grand Hotel
entgegen. Hinter dem Mordwerkzeug tanzte sein verzerrtes Gesicht. Er sprang, das Sägeblatt fetzte Zweige auseinander, die ihn behinderten, und als das Sägeblatt nach unten fuhr, da schrie er schon freudig auf. Zu früh.
Ich hatte mich gedreht und zur Seite geworfen. Ich landete ebenso wie der erste Leibwächter auf den Tannenzweigen, die mein Gewicht natürlich nicht halten konnten und unter mir abbrachen. Ich landete auf dem Boden und rollte mich um die eigene Achse.
Ich geriet unter die Zweige, war erst einmal aus der Reichweite des Killers.
Der aber gab nicht auf.
Er schrie, und seine Schreie mischten sich in das tödliche Singen der Säge.
Der Nadelbaum zeigte in seiner unteren Hälfte und dicht am Boden eine außergewöhnliche Breite, für mich ein Vorteil, denn ich bekam einen gewissen Schutz.
Rocco fluchte, weil ich ihm entwischt war. Um mich zu finden, lief er um den Baum herum.
Kleine Zweige stachen gegen mich, als ich den schlanken Stamm erreichte. Auch im Gesicht wurde ich erwischt, wo mir die Enden gegen die Haut stachen und kleine Wunden hinterließen, aus denen das Blut sickerte.
Ich hörte die Säge…
Sie kreischte, sie jaulte, sie brummte, sie knatterte — und das alles in einem.
Sie spielte ihre verfluchte Todesmelodie, und plötzlich begann es zu regnen.
Kein Wasser, keine Tropfen, sondern Zweige, die Rocco über mir absägte, damit er freies Blickfeld bekam.
Er fluchte, kicherte und schrie Sätze, um sich selbst Mut zu machen. Ich lag auf dem Bauch, hatte die Beine angezogen, schielte in die Höhe und wartete, wie weit dieser verdammte Hundesohn noch gehen würde.
»Ich kriege dich, Bulle! Ich hole dich! Ich zersäge dich in Stücke! Ich mache dich fertig!«
Er brüllte, er kämpfte sich weiter, ich sah seine Beine, hörte über mir die Säge und wußte, daß er in den nächsten Sekunden so dicht an mich herankam, daß ich keine Chance mehr hatte.
Aus der Höhe her trennte er immer mehr Zweige ab. Sie klatschten auf den weichen Waldboden, streiften auch mich, er bückte sich, um freie Sicht zu haben und schob dabei die Säge vor.
Wie ein blankes Schwert kam sie mir vor. Sie heulte, sie drohte, sie wurde schräg gehalten, fetzte noch einige Hindernisse weg, dann war der Weg für sie frei.
Aber auch für mich.
Ich hockte jetzt geduckt, machte mich klein. Die Beretta hatte ich abgeben müssen, den Dolch aber behalten.
Er oder ich!
Ich warf die Klinge unter der Säge vorbei. Es war meine letzte Chance. Wenn ich nicht traf, war es so gut wie aus.
Ich hörte Rocco schreien. Ein fast tierisches Gebrüll. Die Waffe hatte ihn völlig unvorbereitet erwischt. Und plötzlich begann die Säge vor meinen Augen zu tanzen. Der Mann schaffte es nicht mehr, sie zu halten, sie zuckte von einer Seite zur anderen, mal nach oben, dann nach unten, entfiel seinen Händen.
Ich hatte Glück, daß sie mich nicht erwischte. Kaum auf dem Boden gelandet, drehte sie sich um die eigene Achse, schleuderte Erde, Zweige und Humus in die Höhe, und ihr tödlicher Singsang erstarb mit einem letzten, schreienden Laut. Vorbei!
Endlich sah ich Rocco. Er lag auf dem Boden. In der Finsternis glich seine Gestalt einem langgestreckten Schatten. Der Dolch steckte in seiner rechten Brustseite.
Tot war der Mann nicht. Er wimmerte leise, hatte die Hände um den Griff geklammert, zerrte die Waffe plötzlich aus der Wunde hervor, und preßte einen Moment später beide Hände darauf.
Er war schwerverletzt, brauchte ärztliche Hilfe, die ich ihm leider nicht besorgen konnte, denn für mich ging es um das Leben meines Freundes Golenkow.
Und auch Satorius fehlte…
Ich nahm den Dolch wieder an mich, warf noch einen Blick in das Gesicht des Kettensäge-Fans, das so bleich wirkte wie ein Stück altes Fett. Dann fuhr ich herum und arbeitete mich bis zum Waldrand durch. Ich hatte mir ungefähr die Stelle gemerkt, wo die Beretta gelandet war. Es durfte nicht zu schwer sein, sie zu finden.
Fast wäre ich über sie gestolpert. Ich hob sie auf, stolperte noch über eine Wurzel, der Schwung aber brachte mich aus dem Wald heraus und auf den nebelgetränkten Rasen, wo das Grauen ablief wie die schauerlichste Szene eines Horrorfilms…
***
Wladimir Golenkow spürte die Hand des weiblichen Zombies. Sie war weich, sie war hart, sie wollte sich durch die Kleidung in seine Haut drücken, um sie aufzureißen. Dieses fürchterliche Wesen gierte nach Blut, nach seinem Fleisch, auch wenn es noch so aussah wie ein Mensch.
Monica Grandi
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