Grauen im Grand Hotel
Fremde Gedanken drangen gegen ihn und erreichten sein Hirn.
Uralte Gedanken, entstanden in einer fernen, längst vergessenen Zeit, die jedoch mit einem bestimmten Wissen angefüllt war. Seltsamerweise konnte er sie verstehen. Sie übermittelten ihm Botschaften, sie sorgten dafür, daß sich seine Furcht zu einer beklemmenden Angst steigerte, denn sie berichteten ihm von dem Tod, dem Leben und dem Stadium dazwischen.
Golenkow war kein heuriger Hase. Er wußte über das Stadium dazwischen Bescheid.
Lebende Tote — Zombies!
Der Schrecken an sich. Ebenso schlimm wie Vampire oder Werwölfe. Leichen, die es nicht mehr in der Graberde aushielten, die von unheiligen Kräften wieder zurück in die normale Welt gebracht wurden. War es das gewesen, was Satorius gewollt hatte?
Herr über Leben und Tod zu sein. Für einige Menschen war es das Ziel an sich.
Und der Psychologe gehörte dazu.
Noch war es nur Theorie, die dem Gefesselten Furcht einflößen sollte. Aber es blieb nicht dabei.
Plötzlich spürte er das leichte Zittern des Bodens. Als wäre jemand dabei, von unten her mit einem flachen Gegenstand davor zu schlagen. Er konnte sich keinen Reim darauf machen, bis er den Kopf nach rechts drehte und sah, daß sich dort der Untergrund bewegte. Das war nicht normal, es lag auch nicht am Nebel, diese Bewegungen besaßen im Boden ihren Ursprung. Sie kamen von unten, weil dort jemand drückte.
Die Kehle verengte sich. Wladimir hatte Mühe, auch nur ein Wort hervorzubringen. Er hätte jetzt Hilfe gebraucht, dachte an John Sinclair. Aber diese Gedanke war nicht mehr als ein Blitzstrahl, der ebenso rasch wieder verschwand.
Der Rasen bekam ein Loch.
An dieser bestimmten Stelle wuchs er sowieso nicht so dicht. Da hatte es ausgesehen, als wäre dort zuvor etwas vergraben und nur unvollkommen wieder zugeschüttet worden.
Golenkow litt unter einer unerträglichen Spannung. Er hätte seinen Blick gern von diesem Ziel genommen. Ein Zwang sorgte dafür, daß er hinschaute und das Grauen beobachtete.
Es kroch aus der Erde.
Der Nebel wallte darüber hinweg, ließ die Umrisse verschwimmen, konnte den Anblick aber nicht verhindern, denn aus der Erde schob sich etwas Helles hoch. Es hatte eine Nase, eine Stirn, Augen und ein Kinn. Ein Gesicht!
Das Gesicht einer Frau, das immer höher glitt. In den Haaren klebte der Dreck, und unter dem Kinn sah Wladimir einen dunklen Streifen. Er war Fachmann genug, um ihn identifizieren zu können. Jemand mußte der Person die Kehle durchgeschnitten haben und hatte sie so vom Leben in den Tod befördert.
Damit kam er nicht zurecht, aber er ließ seinen Blick nicht von diesem Ziel.
Wo eine war, gab es bestimmt noch mehrere. Möglicherweise lag er hier auf einem Friedhof, der den lebenden Leichen Platz bot. Die Kraft dieser Götzenaugen sorgte dafür, daß die Gestalten nun aus der unheiligen Erde kriechen konnten. Er versuchte es noch einmal mit einem Tritt. Die Beine waren zu kurz. Er konnte den Kopf nicht erreichen. Auch an einer anderen Stelle öffnete sich der Boden. Und zwar vor ihm, etwa zehn Meter entfernt.
Da sah er zwei Hände, die aus der Erde gestoßen waren und sich in die Luft reckten. Die Finger bewegten sich, als wollten sie nach irgend etwas greifen.
Wladimir hielt den Atem an.
Die Hände zuckten, die Arme ebenfalls. Zwischen ihnen durchbrach der Kopf den Boden. Es war eine männliche Leiche.
Sie krabbelte mit ungelenken Bewegungen aus dem Erdboden hervor, schwang von einer Seite zur anderen, zuckte, streifte die feuchten Erdkrumen ab. Dann endlich hatte sie den entsprechenden Halt gefunden, um sich breitbeinig hinzustellen, umwabert von den weichen Nebelwolken, die an seinen Beinen hochkrochen und in Höhe der Knie zerflatterten.
Da der Russe lag, kam ihm die Gestalt noch mächtiger und furchteinflößender vor. Sie war das Grauen an sich, sie war darauf programmiert, den Tod zu bringen.
Noch ging sie nicht, und Wladimir bekam Zeit, wieder nach der Frau zu sehen.
Sie war noch nicht aus der Erde gekrochen. Irgendwo machte sie auf ihn einen frischeren Eindruck, der andere Zombie wirkte zerlumpt, und seine noch zu Lebzeiten getragene Kleidung hing an ihm wie ein feuchter Schmutzlappen.
Er ging.
Wladimir hörte ihn, denn er setzte seine Füße stampfend auf, so daß ihn das Echo erreichte.
Auf ihn wirkte diese lebende Leiche wie eine schaurige Puppe, die durch ein aufgezogenes Uhrwerk angetrieben wurde, aber nicht normal laufen konnte, weil die Gelenke nicht konform
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